Kirchenordnung 1556
Lieben freund, wir haben jetz, wie wir tröstlicher
zuversicht und hoffnung sein, ein mitglid unsers
herrn Jesu Christi aus freuntlicher lieb zur begreb-
nus gelaitet. Damit wir nun nicht on underricht und
trost abtreten, wöllen wir hören die wort des heiligen
apostels Pauli (vel) des heiligen evangelisten N., also
lautend:
Wir wöllen euch, lieben brüder etc. [l.Thess. 4.
13-18]
Oder [Johan. xi. [21-45]]: Martha sagt zu Jesu:
Herr, werestu hie gewesen, mein bruder were nicht
gestorben etc.
Oder [i. Cor. xv. [20-28]]: Christus ist auferstan-
den von den todten und der erstling worden under
denen, die da schlafen etc.
Da dencke du, sprich, wie du betest. Ist dir
ernst, das man dir vergebe, so hörestu hie, das du
auch vergeben solst. Thustu es nit, so ist nit allein
solch gebet kein gebet, sonder es ist dir vergebung
der sünden kurtzumb abgeschlagen und thust
wissentlich wider den willen und bevelch Christi.
Nun bedencke aber, wie ein ungleicher zeug es
ist, wann du vergibst, das dir Gott auch will ver-
geben. Christus gibt ein gleichnuß von eim
knecht, der seinem herrn zehentausent pfundt
schuldig ware und sagt [Matt. 18. [21-85]]: Die
schuld, so wir gegen im haben, seye dieselbe
summa, die wir nimmermehr bezalen mögen.
Widerumb, das unser nechster schuldig seye, das
seindt hundert groschen, das ist ein sehr geringes.
Wer wolt nun nit gern ein heller nachlassen, das
man im tausendt gülden nachliesse ? Nun sagt
aber Christus, wie es dem knecht mit den zehen-
tausent pfunden gangen habe, der sein mitknecht
nit vergeben wolte, also sol] es uns auch gehen,
wann wir nit vergeben unserm nechsten, nemlich
das uns Gott auch nit will vergeben. Da wirdts
dann vor Gottes gericht heissen: Bindet im hend
und füß und werfet in in die eusserste finsternuß.
Wiltu nun deß urtheils gewarten, das stehet bey
dir, anders wirdts nit. Christus hats selbs gepre-
digt und uns zur warnung gesagt, ja Matthei
am 5. [22-26] macht er solche vergebung und ver-
sönung so nötig, das er spricht: Gott wölle im
kein andacht, kein gottesdienst, weder beten
noch anders gefallen lassen, weil wir in solchem
widerwillen und unbarmhertzigkeit stehen. Dar-
umb warnet er am andern ort so fleissig und
heißt, man soll nit eine nacht schlafen in solchem
widerwillen [vgl. Bph. 4, 26]. Da dencke du nun,
was für sünde es allbereit seye, das du solchen
zorn so lange zeit getragen hast und noch nit ge-
denckest, den fahren zu lassen.
Solches bedenck, lieber freund, was es für ein
x 1577: dessen.
Darauf soll er ein kurtze predig thun von dem
todt, von der urstend und dergleichen argumenten,
so sich zur leich und trost denen, die in bekümmer-
nus sein, schicken. Am end soll er die abgestorbne
person der gnedigen hand Gottes bevelhen und die
gegenwirtige versamlung umb besserung des lebens,
christlich absterben und frölich urstend mit einem
vaterunser [vgl. Mt. 6, 9-13] bitten lassen und sie
darauf mit dem gemeinen segen [vgl. Num. 6, 24-26]
abfertigenw.
Hiebey soll es auf dißrnal mit der kirchenordnung
bleiben. Dann was mehr in obgemelten, auch andern
kirchenhandlungen gemeiner kirchenversamlung zu
nutz und gut fürgenommen werden möcht, dasx
sollen aus unserm bevelch die pfarrer und ander
schaden deiner seel seye, wann du vor Gottes ge-
richt nit solst gnad, sonder ungnad finden und
Gott eben mit deinen sünden thun will, wie du
thust mit den sünden deines nechsten wider dich.
Und zwar hastu ein vernunft, so sihe nur, was
richtestu mit auß, wann du nit vergeben wilt?
Du ligest hie in verhaft, in zweyen tagen ist deins
leben nimmer. Was kan dann dein zorn deinen
feinden schaden? der dir an deiner seelen selig-
keit so trefflich schädlich ist.
Darumb besinne dich, es gilt dir, mir aber gilt
es nit, sonder ich muß auch, will ich gnad haben,
allen denen gnedig sein und vergeben, so ungnad
und zorn umb mich verdient haben. Wilt du es
aber nit thun und so beharren, so kan ich dir das
sacrament nit mittheilen, welches uns der höch-
sten lieb und treu ermahnet, so uns Christus be-
wisen hat, uns zum exempel, das wir auch unserm
nechsten, ja den fremden dienen, vergeben und
sie lieb haben sollen. Wo er sich noch nit wolte
erweichen lassen, soll man ihn fragen: Lieber, ich
sehe, das es in deinem hertzen nit ist, das du
gegen deine widersacher köndest ein freundlich
hertz haben. Sage mir aber, möchtest du dir es nit
wünschen, das du es thun und ein solches hertz
möchtest haben ? Oder were es dir ein dienst, wo
man Gott für dich bäte, das er dir solch hertz und
gnad verliehe, das dein hertz gegen deine feinde
stünde ? Wie er dann am creutz betet für die, so
ihn creutzigten [vgl. Lk. 23, 34]. Wann er hie
spricht, ja, er wolt, das er auch also gesinnet
were, aber er befünde leider, das es anderst sey,
da soll man in selbs zum beten vermahnen, das
er ein solch hertz von Gott begere und alsdann
auf die gnad Gottes, welche er niemand will ver-
sagen, im das heilige sacrament geben und hoffen,
Gott werde in erleuchten.
71Auf diese weiß mag man einfeltig in solchem
fall mit den armen handlen.71 68
71-71 So auch in Zweibrücken 1557.
181
Lieben freund, wir haben jetz, wie wir tröstlicher
zuversicht und hoffnung sein, ein mitglid unsers
herrn Jesu Christi aus freuntlicher lieb zur begreb-
nus gelaitet. Damit wir nun nicht on underricht und
trost abtreten, wöllen wir hören die wort des heiligen
apostels Pauli (vel) des heiligen evangelisten N., also
lautend:
Wir wöllen euch, lieben brüder etc. [l.Thess. 4.
13-18]
Oder [Johan. xi. [21-45]]: Martha sagt zu Jesu:
Herr, werestu hie gewesen, mein bruder were nicht
gestorben etc.
Oder [i. Cor. xv. [20-28]]: Christus ist auferstan-
den von den todten und der erstling worden under
denen, die da schlafen etc.
Da dencke du, sprich, wie du betest. Ist dir
ernst, das man dir vergebe, so hörestu hie, das du
auch vergeben solst. Thustu es nit, so ist nit allein
solch gebet kein gebet, sonder es ist dir vergebung
der sünden kurtzumb abgeschlagen und thust
wissentlich wider den willen und bevelch Christi.
Nun bedencke aber, wie ein ungleicher zeug es
ist, wann du vergibst, das dir Gott auch will ver-
geben. Christus gibt ein gleichnuß von eim
knecht, der seinem herrn zehentausent pfundt
schuldig ware und sagt [Matt. 18. [21-85]]: Die
schuld, so wir gegen im haben, seye dieselbe
summa, die wir nimmermehr bezalen mögen.
Widerumb, das unser nechster schuldig seye, das
seindt hundert groschen, das ist ein sehr geringes.
Wer wolt nun nit gern ein heller nachlassen, das
man im tausendt gülden nachliesse ? Nun sagt
aber Christus, wie es dem knecht mit den zehen-
tausent pfunden gangen habe, der sein mitknecht
nit vergeben wolte, also sol] es uns auch gehen,
wann wir nit vergeben unserm nechsten, nemlich
das uns Gott auch nit will vergeben. Da wirdts
dann vor Gottes gericht heissen: Bindet im hend
und füß und werfet in in die eusserste finsternuß.
Wiltu nun deß urtheils gewarten, das stehet bey
dir, anders wirdts nit. Christus hats selbs gepre-
digt und uns zur warnung gesagt, ja Matthei
am 5. [22-26] macht er solche vergebung und ver-
sönung so nötig, das er spricht: Gott wölle im
kein andacht, kein gottesdienst, weder beten
noch anders gefallen lassen, weil wir in solchem
widerwillen und unbarmhertzigkeit stehen. Dar-
umb warnet er am andern ort so fleissig und
heißt, man soll nit eine nacht schlafen in solchem
widerwillen [vgl. Bph. 4, 26]. Da dencke du nun,
was für sünde es allbereit seye, das du solchen
zorn so lange zeit getragen hast und noch nit ge-
denckest, den fahren zu lassen.
Solches bedenck, lieber freund, was es für ein
x 1577: dessen.
Darauf soll er ein kurtze predig thun von dem
todt, von der urstend und dergleichen argumenten,
so sich zur leich und trost denen, die in bekümmer-
nus sein, schicken. Am end soll er die abgestorbne
person der gnedigen hand Gottes bevelhen und die
gegenwirtige versamlung umb besserung des lebens,
christlich absterben und frölich urstend mit einem
vaterunser [vgl. Mt. 6, 9-13] bitten lassen und sie
darauf mit dem gemeinen segen [vgl. Num. 6, 24-26]
abfertigenw.
Hiebey soll es auf dißrnal mit der kirchenordnung
bleiben. Dann was mehr in obgemelten, auch andern
kirchenhandlungen gemeiner kirchenversamlung zu
nutz und gut fürgenommen werden möcht, dasx
sollen aus unserm bevelch die pfarrer und ander
schaden deiner seel seye, wann du vor Gottes ge-
richt nit solst gnad, sonder ungnad finden und
Gott eben mit deinen sünden thun will, wie du
thust mit den sünden deines nechsten wider dich.
Und zwar hastu ein vernunft, so sihe nur, was
richtestu mit auß, wann du nit vergeben wilt?
Du ligest hie in verhaft, in zweyen tagen ist deins
leben nimmer. Was kan dann dein zorn deinen
feinden schaden? der dir an deiner seelen selig-
keit so trefflich schädlich ist.
Darumb besinne dich, es gilt dir, mir aber gilt
es nit, sonder ich muß auch, will ich gnad haben,
allen denen gnedig sein und vergeben, so ungnad
und zorn umb mich verdient haben. Wilt du es
aber nit thun und so beharren, so kan ich dir das
sacrament nit mittheilen, welches uns der höch-
sten lieb und treu ermahnet, so uns Christus be-
wisen hat, uns zum exempel, das wir auch unserm
nechsten, ja den fremden dienen, vergeben und
sie lieb haben sollen. Wo er sich noch nit wolte
erweichen lassen, soll man ihn fragen: Lieber, ich
sehe, das es in deinem hertzen nit ist, das du
gegen deine widersacher köndest ein freundlich
hertz haben. Sage mir aber, möchtest du dir es nit
wünschen, das du es thun und ein solches hertz
möchtest haben ? Oder were es dir ein dienst, wo
man Gott für dich bäte, das er dir solch hertz und
gnad verliehe, das dein hertz gegen deine feinde
stünde ? Wie er dann am creutz betet für die, so
ihn creutzigten [vgl. Lk. 23, 34]. Wann er hie
spricht, ja, er wolt, das er auch also gesinnet
were, aber er befünde leider, das es anderst sey,
da soll man in selbs zum beten vermahnen, das
er ein solch hertz von Gott begere und alsdann
auf die gnad Gottes, welche er niemand will ver-
sagen, im das heilige sacrament geben und hoffen,
Gott werde in erleuchten.
71Auf diese weiß mag man einfeltig in solchem
fall mit den armen handlen.71 68
71-71 So auch in Zweibrücken 1557.
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