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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Arend, Sabine [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 1. Teilband = Baden-Württemberg, 3): Schwäbisch Hall, Heilbronn, Konstanz, Isny und Gengenbach — Tübingen: Mohr Siebeck, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.30656#0209
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10. Kirchenordnung 1543/1615

rer Eherichter sich also anderwerts verheyrathen wurde, wöl-
len Wir dasselbige nicht allein härtiglich straffen, sondern
auch deß Landts verweysen. Und damit dise Christliche, Er-
bare Ordnung desto steiffer gehalten und alle ärgernuß und
unzucht so viel müglich abgeschafft werden, so wöllen Wir,
daß die Pfarrer in unser Obrigkeit, als Wir dann Uns zu Ih-
nen versehen, kein Ehe einsegnen und bestättigen, Sie sey
dann der Ordnung nach [Vgl. unten, Nr. 16 und 17] drey Son-
tag nacheinander offentlich in der Kirchen zuvor verkündi-
get.
Zum Beschluß, So wöllen Wir neben disem unserm ernstli-
chem Befelch einen jeden unserer Burger, Underthanen, Ver-
wandten und Angehörigen auch Vätterlich erinnert und er-
mahnet haben, diser unser Ordnung gehorsamlich unnd ge-
trewlich nachzukommen, auch zubedencken, daß man hier-
durch nit allein die Schuldigkeit leystet, sondern Gott dem
HERRN ein gefälligen Dienst beweyset, so durch Hülff be-
fürdert, daß der H. Ehestandt, wie sich gebürt, ordentlich
angefangen, Christlich erhalten und neben verhütung alles
unerbares und ärgerlichs Leben seeliglich beschlossen werde.
Demnach sich meniglich mit erzeigung der Schuldigkeit aller
unverweißlicher Gebür zuverhalten wissen oder zum Fall
verächtlicher Uberfahrens sein verdiente Straff tragen und
erdulden wirdt.
Doch behalten Wir uns hiemit bevor, solche Ordnung in ei-
nem oder mehrern Articuln, nach gestaltsame befundener
Sachen und wie es jeder Zeit nothwendig oder nutzlich be-
funden, zumindern, zumehren, zuverbessern und zu erläutern
[Entwurf 1614: erläutern. Actum Hall in S., den 10. Maii
Anno 1599.]
[im Entwurf 1614 folgt gestrichen mit der Randbemerkung:]
gar außzulaßen, auch folgendes Capitel:
V. Von der Kirchen disciplin oder Zucht
Die disciplin und Zucht soll den offentlichen lastern, so im
Schwang gehen, entgegen gesetzt werden. Nam excommuni-
catione Ecclesiastica, politica et domestica neglecta, crescit
magna morum licentia et Epicurea securitas. Wann man nit
gute Zucht übet, so nemmen sündt und laster sampt der si-
cherheit überhand. Darauff dann allerley straffen Gottes fol-
gen, dann es heist doch: Posita causa ponitur effectus. Et
contra: Sublata causa, tollitur effectus. Darumb man gute
Zucht üben soll in allen ständen, sonderlich zu dieser letzten
Zeit, da laider die Zucht sehr gefallen [marginal: postil. Ec-
cles. Luth. con. 2 festo visit. Mar. [Luther, Hauspostille
1544, WA 52, S. 681-699]]. Daher es so übel in der weltt ste-
het, dißmals in sonderheit von der Kirchenzucht oder -straff
zureden, ist zu wissen, daß sie drei underschiedliche gradus
hat. Der 1. Gradus der Kirchenstraff ist die predigt deß Ge-
setzs oder der Bueß, darinn alle sünd in genere et specie ge-
strafft werden und Gottes Zorn und ewig verdambnus allen
unbußfertigen sündern verkündigt wirt. Von diesem Grad
der Kirchenstraff redet Esaias im 58. Capitel [1-12], Ezechiel
im 33. [10-20], Christus, Johan. 16 [5-15] und Paulus Rom. 1
[18-32],
Der ander Grad der Kirchenstraff ist privata Separatio et
suspensio ab usu Sacramentorum, da ein unbußfertiger sün-
der, der entweder in der Lehr irret oder mit andern groben
sünden behafft ist und doch dieselben weder für sündt erken-
nen noch darvon ablassen wil, ein Zeitlang, biß er sich be-
kehrt, von dem gebrauch der H. Sacramenten abgewiesen

wirt, damit er das Sacrament ihm selbst nit zum Gericht
empfaht und ein lehrer sich in wissentlich frembder sünden
theilhafftig mache (doch geschicht solche abweisung priva-
tim, ohne offentliche und namhaffte ankündigung). Diese
straff nennen die Canones Excommunicationem minorem.
Eigentlicher aber nennt mans Suspensionem.
Der 3. Gradus der Kirchenstraff ist der offentliche Bann, da
man einen notorium (de occultis non iudicat Ecclesia), of-
fentlichen, halßstarrigen, unbußfertigen sünder nach vorge-
hender Vermahnung und gehaltenem ordentlichen process,
darvon hernacher, offentlich und mit Namen excommuni-
ciert und in Bann thut, dann er durch diese straff zu wahrer
bueß und bekehrung zu Gott gebracht werde. Dann der
Bann zu dem Endt gericht sein soll, nit daß die armen sünder
für der welt gleichsam zu schanden gemacht, sondern viel
mehr bekehrt und seelig werden, 1. Cor. 5 [1-13], 2. Cor. 13
[1-11]. Excommunicatio debet esse non mortalis, sed medi-
cinalis. Es soll auch der Bann geschehen nit in levibus exces-
sibus, umb geringer übertrettung oder verbrechung willen,
sondern da einer in offentlichen todtsünden wider das gewis-
sen mit grossem ärgernus bleibt und verharret. Nam sicut
sectio nunquam est usurpanda, nisi summa cogat necessitas,
ita nunquam fulmen excommunicationis est usurpandum,
nisi summa exigat necessitas [marginal: Extremis morbis ex-
trema remedia adhibenda]. Diese straff nennen die Canones
Excommunicationem maiorem, Christus, Johan. 16 [2], nen-
nets Aposynagogiam, ein Außschliessung oder außstossung
von der christlichen Kirchen Gemeinschafft. S. Paulus nen-
nets Anathema, Gal. 1 [8]; 1. Cor. 16 [22]. Item: dem Teuffel
übergeben, 1. Cor. 5 [5]; 1. Tim. 1 [20].
Und hat Christus diese straff selbst geordnet und eingesetzt,
auch den lehrern und Seelsorgern, ernstlich zugebrauchen,
befohlen, Matth. 16 [19] und 18 [18], Joan. 20 [21-23], In-
massen auch Paulus solches zuthun befohlen, 1. Cor. 5 [1-5];
2. Cor. 6 [11-18]; Tit. 3 [1-11]. Demnach diese Zucht billich
zu üben und zuführen, allein daß die Pastores hie den rech-
ten, gebürlichen process halten, darvon Matth. 18 [15-20],
nämblich daß sie bey den offentlichen, halßstarrigen, unbuß-
fertigen sündern die Gradus Admonitionum lassen vorher-
gehen [marginal: qui publica peccat, publice etiam arguatur],
darnach heist es: Die da offentlich sündigen, die straff für
allen, auff daß sich auch die andern fürchten, 2. [1.] Tim. 5
[20]. Doch sollen hie die Pastores nichts auß argwohn,
feundtschafft, haß, rachgier oder blossen gedancken und
nachsagen thun und fürnemmen, sondern alle sachen vor-
derst eigentlich erkündigen, dann es heist: Quod iustum est,
iuste persequaris, Deut. 16 [20]. Es sollen auch die Pastores
den Bann nit auß eigenem durst [= Begierde] und frevel für-
nemmen, sondern dessen von der kirchen [marginal: iudicet
ecclesia], das ist vom Consistorio oder denen personen, so die
sachen verstehen, ordentlich und genugsam verhört und, sol-
che kirchenstraff für notwendig erkandt, außtrucklichen be-
felch haben.
Es wöll aber hie auch die Obrigkeit ihr ampt trewlich auß-
richten [marginal: Censurordnung], nämblich den Kirchen-
dienern in Übung der Kirchenzucht hülffliche hand bietten,
die angezeigten ärgerlichen personen fürfordern, dieselben ih-
rer vorgehenden geschehenen besondern Vermahnung erin-
nern und darauff mit ernstlichem zusprechen, dräwen und
vermahnen ferner anhalten, vom ärgerlichen wesen abzuste-
hen und hinfort Christlich zu leben. Dann wofern solches nit

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