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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Bergholz, Thomas [Bearb.]; Goeters, J. F. Gerhard [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (19. Band = Rheinland-Pfalz, 2, 1. Teilband): Die Reichsstädte Landau, Speyer und Worms - die Grafschaften Leiningen, Sayn und Wied - die Wild- und Rheingrafschaft - das Fürstentum Pfalz-Simmern - die Grafschaft Pfalz-Veldenz (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.30659#0097
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Einleitung

der Letzten Rachtung19 niedergelegt wurden. Darin wurde zumindest ein Teil der geistlichen Sonderrechte,
z.B. die weitgehende Steuerfreiheit beim Weinausschank und Grunderwerb, beschnitten. Religiöse Fragen
wurden in diesem Vertrag allerdings nicht behandelt.
Somit ist für Speyer zwar davon auszugehen, dass der Rat und die Bürgerschaft mehr oder weniger
geschlossen dem neuen Glauben anhingen, aber an eine offene, obrigkeitlich gesteuerte Einführung der
Reformation oder gar an eine Aufhebung der Klöster und Stifte war nicht zu denken. Allein schon die sich
ankündigenden Reichstage verhinderten dies, und nachdem 1527 Reichsregiment und Reichskammerge-
richt dauerhaft in Speyer angesiedelt wurden, war ein derart exponiertes Verhalten unmöglich geworden.
Andererseits begann schon 1529 der Einfluss der Kurpfalz wieder zu schwinden, als nämlich das Dom-
kapitel nach dem Tode Bischof Georgs sich dem ausdrücklichen Willen Kurfürst Ludwigs widersetzte, der
als Nachfolger seinen anderen Bruder Heinrich, der schon den Wormser Bischofsstuhl innehatte, zur Wahl
vorgeschlagen hatte. Stattdessen wurde der Domherr Philipp von Flersheim gewählt.20 Schon in den 1530er
Jahren wurde deutlich, dass Ludwig, der in religiösen Dingen eigentlich indifferent war, einer zumindest
informellen Ausbreitung der Reformation keine weiteren Schwierigkeiten bereiten würde.21
Insofern ist es wenig verwunderlich, dass sich die neue Lehre auch ohne obrigkeitliche oder amtliche
Institutionalisierung weiter ausbreitete. Als führender Kopf dieser Speyerer Reformation kann der Prior des
Augustinerklosters, Michael Diller, betrachtet werden. Diller stammte aus Speyer, ist 1523 als Student in
Wittenberg belegt und schon kurz darauf Prior in Speyer - schon sein Aufrücken in dieses Amt ist also
durchaus ein Bekenntnis zur Reformation. Auch Anton Eberhard, der offenbar seit 1529 in Speyer wirkte,
zunächst als Prior des Karmeliterklosters, ab 1532 als Pfarrer der St. Ägidienkirche, scheint schon bald nach
seinem Amtsantritt mit reformatorischen Predigten begonnen oder diese zumindest geduldet zu haben.22
Es liegt nahe, den unmittelbaren Anlass des nächsten Schrittes in Richtung auf die Reformation im
oberpfälzischen Religionsmandat von 1538 zu sehen, in dem Pfalzgraf Friedrich (und sein Bruder, Kurfürst
Ludwig) die Predigt des Evangeliums und die Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt in der
Oberpfalz unter bestimmten Bedingungen erlaubt hatten.23 Vielleicht dadurch ermutigt, kam es im Stadt-
rat zu neuen Überlegungen, wie die Sache der Reformation weiter betrieben werden könnte.
2. Bedenken, der Predigt halben [1538] (Text S. 87)
Die in der ersten Marginalie genannten Dreizehn waren ein vom geschäftsführenden Teil des Rates (dem
sog. Ewigen Rat) eingesetzter Ausschuss.24
Dieser Text ist ein äußerst bemerkenswertes Schriftstück, weil er die inneren und äußeren Nöte des
Stadtrates offenlegt. Der Wunsch der großen Mehrheit der Bürger und wohl auch des Rates nach der
lauteren und klaren Predigt des Evangeliums, also der Einführung der Reformation, wird sehr ernst genom-
men. Andererseits sieht sich der Rat immer noch in einer prekären Lage sowohl gegenüber dem Bischof als

19 So genannt, weil sie nominell bis zum Ende des Alten
Reiches in Kraft blieb.
20 Vgl. Eger, Speyer und die Reformation, S. 20.
21 Vgl. Goeters, Kurpfalz, in: Sehling, EKO XIV, S. 9f.
22 Vgl. König, Reformationsgeschichte, S. 1-3, 34.
Biundo, Pfarrerbuch 1968, S. 92. Engels, Pfarrkir-
chen, S. 31, 344.
23 Vgl. Goeters, Kurpfalz, in: Sehling, EKO XIV,
S. 11; Simon, Oberpfalz, in: Sehling, EKO XIII,
S. 257.
24 Der Ewige Rat im Gegensatz zum Gesamtrat, der seit
den durch den Bürgeraufstand 1512/13 ausgelösten Ver-
änderungen aus insgesamt 48 Personen bestand: den

Mitgliedern des Sitzenden Rates und weiteren 36 Rats-
herren. Von diesen letztgenannten bildeten jeweils zwölf
(also je drei Gruppen in einem turnusmäßigen Wechsel)
zusammen mit dem Ewigen Rat ein Jahr lang den sog.
Sitzenden Rat, der die Amtsgeschäfte führte. Die Mit-
glieder des Gesamtrates wurden von den Zünften
bestimmt, von denen es acht sog. ganze und acht halbe
gab; die ganzen Zünfte entsandten jeweils zwei Mitglie-
der, die halben je einen Abgeordneten. Die Wahl der
übrigen Ratspersonen sowie die Aufnahme in den Ewi-
gen Rat erfolgte offenbar durch Kooptation; vgl. Al-
ter, Von der Konradinischen Rachtung, S. 458, 478.

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