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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (2. Band = 1. Abtheilung, 2. Hälfte): Die vier geistlichen Gebiete (Merseburg, Meissen, Naumburg-Zeitz, Wurzen), Amt Stolpen mit Stadt Bischofswerda, Herrschaft und Stadt Plauen, die Herrschaft Ronneburg, die Schwarzburgischen Herrschaften, die Reussischen Herrschaften, die Schönburgischen Herrschaften, die vier Harzgrafschaften: Mansfeld, Stolberg, Hohenstein, Regenstein, und Stift und Stadt Quedlinburg, die Grafschaft Henneberg, die Mainzischen Besitzungen (Eichsfeld, Erfurt), die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, das Erzbisthum Magdeburg und das Bisthum Halberstadt, das Fürstentum Anhalt — Leipzig: O.R. Reisland, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.26561#0372

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Die Grafschaft Henneberg.

der herrschaft oder ja wenig ausgenomen, denn
in andern stetten halten die pfarrer kein frue-
gebet, sonder werden durch ihre caplan verrichtet.
In dorfen sein die pfarhern an die fruegebet
nit gebunden, sonder wenn einer die wochen seine
predigt thut, hat ers verrichtet. Alhie aber muss
der pfarrer neben allen seinen predigten auch die
fruegebet selber halten , desgleichen alle seine
communicanten allein verhören, den der caplan
kan ihm nit beisteen, dieweil er sonsten drei dorf
zu curiren und zu belaufen hat, darumb es auch
ein jeder bald müde würt, wie ich dann die sech-
zehen jar bei 8 caplan gehabt.
Vom teufen und besuchung der kranken.
Was das teufen und besuchung der kranken
belanget, würt es gehalten wie in vorgedachter
agenda geordent ist. Allein das die gevattern ge-
meiniklich zuvor von der gevatterschaft und von
der h. tauf unterrichtet werden, besonder wenn es
junge oder sonsten ungeschickte leut sein.
Und hat hierinnen der pfarrer ohn zur zeit
der not auch kein diacon oder gehülfen, sonder
geet allein über den pfarrer, weil ein caplan
sonsten in seinen drei dorfen zu thun gnug hat.
Von hochzeiten.
Die eheleut werden ausgerufen und eingeleitet,
wie es in der agenda bevolen ist.
Wie sich das volk zur predigt und h.
sacramenten halte.
Ob wol das volk zu gottes wort und den
heiligen sacramenten vleissig vermanet und ge-
triben würt, und es auch ohne frucht nicht gar
abgeet, das etliche wenig sich gehorsamlich und
vleissig erzeigen, so ist doch in gemein der grosse
hauf hierinnen seer lessig und allzu rohe. Auf die
sontag vormittag und auf die festa find sich ein
zimlich volk in die kirchen, aber die andern zeit
ist es vil geringer, das zu besorgen, weil die welt
gottes worts müde und überdrüssig, es werde da-
mit zu grossen strafen ursach geben. Dieweil
auch der gehorsam gegen den dienern des worts
seer gering, sondern was etwas ansehenlich, ja
auch wol gar geringe leut in beichthendeln und
handlungen der eltesten den predigern sich heftig
widersetzet, were es ein notturft das hierin ein
gut einsehen getroffen würde. Dan wenn man
schon gut ordnung helt oder macht, vil und wol
prediget, et nemo sit qui obtemperet und niemand
gehorcht, ein jeder thut ohne scheu, was er nur

will, so ist es warlich ein schlechtes evangelisches
leben.
So würt auch über den ausgegangenen ord-
nungen wider das zechen, spilen, schwatzbenken
unter den predigten gar nichts gehalten, kein gotts
lesterung wirt gestraft ohn in predigten. Buberei
reisst gewaltig ein überall. Wucherische hendel
und finanzereien nemen überhand, weil etliche
gewaltige selber die treiben, das viehisch saufen
und der hochmut hat gar eingewurzelt.
So will es mit unserm predigen und vermanen
nit ausgericht sein, wenn die weltlich gewalt neben
den hausvätern die laster und öffentliche ergernüss
nit straft oder oft im ergerniss und bösen exempel
gar grob befunden wirt, darauf herr omnes bald
pochet, argumento ab autoritate sumpto: Sei es den
oberherrn recht, so sei es ihnen billich.
Von kirchenrechnungen, die bei uns weder
geschehen noch bezalt werden, auch über die heupt-
summa und zins die brief nit aufgerichtet,
will ich jetzt, weil davon nit sonderlich bevel ge-
schehen, nichts melden, sondern protestire, das ich
an keinem irthumb oder verseumniss will schuld
haben, dann ichs zuvor gnugsam angeregt, und nu
in 16 jaren wenig fruchtbarliches erlangen mögen.
Dises reverende eximieque domine super-
intendens atque compater colendissime hab ich auf
e. ehrwirden begern von predigten und ceremonien
dises orts bericht thun wöllen. Da nu etwas nit
gnugsam oder formlich angezeigt were, bin ich
erpötig, mich weiter zu ercleren, und mich weisen
zu lassen, mit angehefter vleissiger pitt e. e.
wollten gute fürsorge tragen, das nit unsere kirchen,
die gott lob zimlich angericht und ruwig sein, mit
unnötigen enderungen oder coeremonien möchten
unruig gemacht werden, wie denn anderer vorige
exempel uns billich so davon abhalten sollen, da
man erfaret, was unnötige neuerungen für tumultus
und dissensiones in ecclesia gebracht und erweckt
haben, welches alles e. e. als der mit hohem ver-
stand und reicher erfarung mich und vil andere
hoch übertrifft, ohn mein anregen sondern zweivel
werden besser thun können, freuntlich und dienst-
lich pittend e. e. wolten alles im besten ver-
merken , bevele e. e. sampt allen treuen lerern
und gubernatoribus atque patronis ecclesiae in gottes
schutz und gnad, der wolle e. e. mit seinem h.
geist sterken und regieren zu allem guten, das
gottes nam gepreiset, sein reich gemeret und die
kirchen Christi in itzigen tempestatibus wol regiert,
getrostet und fur allen schedlichen rotten bewaret
werde. Datum Wasungen freitag, nach invocavit
66 [8. März]. E. e. dienstwilliger Martinus Reiser,
zu Wasungen unwürdiger pfarrer.
 
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