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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (2. Band = 1. Abtheilung, 2. Hälfte): Die vier geistlichen Gebiete (Merseburg, Meissen, Naumburg-Zeitz, Wurzen), Amt Stolpen mit Stadt Bischofswerda, Herrschaft und Stadt Plauen, die Herrschaft Ronneburg, die Schwarzburgischen Herrschaften, die Reussischen Herrschaften, die Schönburgischen Herrschaften, die vier Harzgrafschaften: Mansfeld, Stolberg, Hohenstein, Regenstein, und Stift und Stadt Quedlinburg, die Grafschaft Henneberg, die Mainzischen Besitzungen (Eichsfeld, Erfurt), die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, das Erzbisthum Magdeburg und das Bisthum Halberstadt, das Fürstentum Anhalt — Leipzig: O.R. Reisland, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.26561#0527

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Das Fürstenthum Anhalt.

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lade ich, gedachten Blesium, das du an negesten freitag nach kunftigen ostern zu mir gegen
Cerbst.kommest und ursach deines langen ausbleibens anzeigest. Du kommest also oder
nicht, soll gleichwohl auf anhalten der klägerin geschehen, was recht ist, darnach ihr euch zu
richten habt. Geschehen zu Cerbst im jar nach Christi geburt 1561 am tage S. Antoni Eremitae.“
Auch der Fürst entschied persönlich. Jedenfalls war er von Anfang an die letzte
Instanz. So wandten sich unter Joachim Ernst Superintendent Ulrich und die Räthe Heinrich
von Wolf und Maximus von Kötschau an den Fürsten um Rath, und dieser entschied am
18. Mai 1571 , „wie weiter in ehesachen zu procediren sei, aus tragendem amt“. An Stelle
des Fürsten reskribirten aber auch die „Räthe und Befehlshaber“ zu Zerbst; sie ertheilten Rath,
entschieden auch zuweilen oder holten ihrerseits Rath ein. Man vergleiche das Reskript der
fürstlichen anhaltischen Räthe zu Dessau vom 29. September 1570. (Zerbst, Superintendentur-
Archiv, Nr. XVIII, Bl. 86.)
Ebenso unsicher wie die allgemeine Rechtslage des Consistoriums, wie Joachim Ernst
die Behörde später ausdrücklich nannte, war seine materielle Zuständigkeit. Weltliche An-
gelegenheiten sollten nicht vor dasselbe gehören. Aber sogleich in einer der ersten Sitzungen
1546 erledigte Fabricius mit seinen Zugeordneten güterrechtliche Fragen, Streitigkeiten aus Ehe-
verträgen, Alimentations-Auseinandersetzungen u. s. w. Alle diese Streitigkeiten hingen ja zwar
mit dem persönlichen Eherecht zusammen, waren aber doch gewiss bürgerlicher Natur und
konnten höchstens als causae spiritualibus annexae im canonischen Sinne betrachtet werden.
Beschwerden über die Geistlichen wurden hier ebenfalls erledigt, dagegen Civilstreitig-
keiten gegen Geistliche vom Amtmann in Gegenwart des Superintendenten. Ganz war also das
privilegium fori, welches Georg für seine Geistlichen beansprucht hatte, nicht gefallen. Vgl.
Zerbst, Superintendentur-Archiv, Nr. 6, Die Instruktion für Fabricius von 1545.
Eine durchgreifende Neuregelung des Ehegerichtswesens erfolgte unter Joachim
Ernst durch die Landes-Ordnung von 1572. Auf diese kommen wir unten zu reden. Aber
schon hier kann bemerkt werden, dass Anhalt das ganze Jahrhundert hindurch ein formirtes
Consistorium und eine eigentliche Consistorial-Ordnung — trotz mehrfacher Anregung der Land-
stände und trotz fürstlicher Zusagen — nicht erhalten hat.
Im Übrigen bietet gerade die Entwickelung des Eherechts in diesen ersten Zeiten be-
sonderes Interesse, und da die Protokolle des ersten Consistoriums zu Zerbst erhalten sind,
so werden unsere rechtshistorischen Kenntnisse nicht unwesentlich bereichert. Einiges habe ich
bereits mitgetheilt. Ohne einer eingehenderen Verwerthung an anderer Stelle vorzugreifen,
hebe ich hier die häufig in die Protokolle aufgenommene „selbstschuldnerische“ Bürgschaft
für die Ledigkeit von Nupturienten hervor. Eine Rechtsform, die nicht gerade auf hohe
juristische Bildung dieser geistlichen Behörde schliessen lässt.
Lehrreich sind weiter namentlich die Gutachten des Consistoriums zu Wittenberg, welche
man häufig erholte. So sprach sich Wittenberg 1556 in einem Desertionsprocess für eine zwei-
jährige Wartefrist aus; belangreich ist ein Gutachten in Betreff dreier mit einander concurrirender
Verlöbnisse vom Jahre 1571. (Zerbst, Superintendentur-Archiv, Nr. 6.)
Man stand überhaupt mit Wittenberg stets in engster Fühlung. Man suchte und ge-
währte Rechtshülfe. Ich verweise auf das offenbar nach einem beliebten Formulare verfasste
Rechtshülfeschreiben der „Verordenten commissarien des consistorii zu Wittenberg“, vom 27. Juni
1567. (Zerbst, Superintendentur-Archiv, Nr. 18.)
Warum hatte Georg von Anhalt nicht sogleich ein wirkliches Consistorium formirt mit
genau geregelten Competenzen, wie er es in Merseburg doch neben sich gehabt hatte, wie es in
Meissen geschehen war, wie es in Kursachsen bestand? Noch im Jahre 1545 erwartete er den
Übertritt des katholischen Episcopats, dem in solchem Falle die kirchliche Regierung im Lande
geblieben wäre (s. die Instruktion für den ersten Superintendenten Fabricius). Gerade Georg
Sehling, Kirchenordnungen. Bd. II.65
 
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