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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (2. Band = 1. Abtheilung, 2. Hälfte): Die vier geistlichen Gebiete (Merseburg, Meissen, Naumburg-Zeitz, Wurzen), Amt Stolpen mit Stadt Bischofswerda, Herrschaft und Stadt Plauen, die Herrschaft Ronneburg, die Schwarzburgischen Herrschaften, die Reussischen Herrschaften, die Schönburgischen Herrschaften, die vier Harzgrafschaften: Mansfeld, Stolberg, Hohenstein, Regenstein, und Stift und Stadt Quedlinburg, die Grafschaft Henneberg, die Mainzischen Besitzungen (Eichsfeld, Erfurt), die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, das Erzbisthum Magdeburg und das Bisthum Halberstadt, das Fürstentum Anhalt — Leipzig: O.R. Reisland, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.26561#0532

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Das Fürstenthum Anhalt.

unsern freundlichen lieben vettern oder sunsten einen generalem superattendenten über das
ganze fürstentum vorordnen musten, was alsdan im rath befunden, des sich ander orter unser
herrschaft superattendenten jegen ime und sunsten hirinne halten sollen, dem sol sich der super-
attendent zu Cerbst mit seinen zugeordneten auch gemess und gleichformig erzeigen.“
In der Zwischenzeit übte er als der Landesherr thatsächlich die Rechtsame eines Bischofs
aus. Denn seine Brüder traten naturgemäss ihm gegenüber in den Hintergrund. Er ordnete
die Visitationen an, in seinem Namen wurden die Visitatoren thätig, in seinem Namen ergingen
die Verordnungen, er ernannte die Beamten, er setzte die kirchlichen Behörden ein, u. s. w.
Theoretisch that er dies als das praecipuum membrum ecclesiae, als christliche Obrigkeit, welche
die Pliicht hat, für reine und einheitliche Lehre zu sorgen, und den Bischof in seiner Kirchen-
gewalt zu unterstützen oder auch zu ersetzen. In Wahrheit war er damit an die Spitze der
Kirche getreten und musste an der Spitze bleiben, da der Bischof sich nicht bekehren liess.
Selbst sein „Generalsuperintendent“ musste ein landesherrlicher, kein Beamter der Kirche werden.
Nur vom Landesherrn konnte er seine Befugnisse, seine Autorität ableiten, weil er sie von ihm
allein erhielt. Denn die Bewegung war eine territoriale geworden, die Kirchenbildung vollzog
sich abschliessend je innerhalb des einzelnen Territoriums. Der Bischof der internationalen katho-
lischen Kirche stand unter einem rein kirchlichen Organ, dem Papste. Der Generalsuper-
intendent Anhalts, das Consistorium Anhalts standen, da sie für sich selbst nicht stehen konnten,
unter dem Landesherrn.
Theoretisch wurde die Thätigkeit der Landesherrn damals nicht als Regieren aufgefasst,
sondern als Vollziehung der Pflicht der christlichen Obrigkeit, innerhalb der Kirche, d. h. der
Christenheit, für reine Lehre zu sorgen. (Jedoch sei darauf hingewiesen, dass der Zerbster Rath
den Fürsten Georg den Geistlichen gegenüber 1552 als „obersten pastorem“ bezeichnet. Vgl.
oben S. 515 Z. 8.) Was man damals theoretisch so auffasste, war aber im modernen Sinne be-
trachtet: Regieren. Damals kam es Niemandem in den Sinn, in diesen Zuständen eine Ver-
mischung der staatlichen und kirchlichen Gewalten, eine Vermengung von Staat und Kirche zu
erblicken. Denn Staat und Kirche waren nach der Anschauung der Zeit keine begrifflichen
Gegensätze. Erst die naturrechtliche Schule hat bekanntlich mit der Theorie des Linum corpus
christianum gebrochen. Die Welt ist die von Christus regierte Einheit. Weltliche und geist-
liche Obrigkeit wirken in ihr nebeneinander, zu gleichen Endzielen, wenn auch mit verschiedenen
Mitteln und in verschiedenen Formen. Daher soll kein weltliches Organ in das geistliche Re-
gieren, d. h. das Regieren mit dem Worte, d. i. die Kirchengewalt Luther’s, eingreifen, und
umgekehrt aber auch die Geistlichkeit nicht weltlichen Rechtszwang üben. Ganz im Einklange
mit den sonst von Georg vertretenen Anschauungen (s. meine „Kirchengesetzgebung unter Moritz
von Sachsen“, S. 84) heisst es daher in der ersten Instruktion für Fabricius:
„Es sollen auch die pfarherr und diacon ..... keiner etwas sunderlichs thun oder fur-
nehmen, sich auch in weltlich regiment oder fremde sachen ausserhalben ires ampts nicht ein-
lassen . . .
Theoretisch war diese Abgrenzung möglich. In der Praxis erwies sie sich aber hier als
ebenso schwer durchführbar wie anderwärts. Man denke doch nur an die Handhabung der
Ehegerichtsbarkeit, die man nach wie vor als eine geistliche Angelegenheit (causa spiritualis)
betrachtete. Man denke, wie flüssig die Grenzen bei der Behandlung von Delikten waren.
Dazu kam, dass Georg ja mit besonderer Neigung an dem alten Rechte hing, in dem er auf-
gewachsen war. Wo dieses nicht mit den reformatorischen Grundlehren im Widerspruche stand,
suchte er es möglichst zu erhalten. So in den Cultusformen, so auch in äusseren rechtlichen
Beziehungen. Ich hebe hier als bemerkenswerth die Aufrechterhaltung der canonischen privi-
legia immunitatis und fori für die Geistlichen hervor; in Strafsachen nahm Georg für sie die
 
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