Metadaten

Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band: Niedersachsen ; 2. Hälfte): Die welfischen Lande: Halbbd. 2, Die Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen mit den Städten Göttingen, Northeim, Hannover, Hameln und Einbeck. Die Grafschaften Hoya und Diepholz. Anhang: Das freie Reichsstift Loccum — Tübingen, 1957

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30041#0263
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Kirchenordnung 1536

und, so er mit rechtem grund der warheit unter-
richtet und gewarnet wird, nichtsdesteweniger
auf seinem irthum verharret, Tit. 3 [10 f.].
Daraus denn folget, das uns niemand mit der
warheit kan ketzer schelten, dieweil noch bis
auf diesen tag nach verenderter religion unser
widerpart niemals auf uns bewisen hat, das
wir einen artikel wider das heilig evangelium
hetten gegleubt oder beschirmet, sondern was
die propheten, Christus, die apostel und die erste
kirche gelert, gegleubt und uns zu gleuben ge-
geben haben, das halten wir als den rechten
grund christlicher lere von Gottes gnaden, wie
wirs halten sollen.
Aber der bapst und die seinen haben in viel
orten die schrift unrecht ausgelegt und selbs
neue artikel und lere gesetzt und auf der Chri-
sten conscienz gedrungen, und auf das solchs
ein grund und schein hette, haben sie gesagt,
die kirche habe solchs gethan. Allhie bekennen
wir frey, das wir wider solche irthum und un-
nötige, aber mit dem heiligen namen der kir-
chen geschmückte artikel leren und gleuben.
Denn sie haben in dem evangelio keinen grund,
ja, sind den mehrer teil stracks wider das evan-
gelion und die waren kirchen.
So solten nu unsere nachbaurn nicht so sicher
schreien: Ketzer, ketzer!, bis sie uns uberzeugt
hetten, das wir falsche artikel gleubten wider
das heilige evangelium, und das wir Gottes wort
nicht gleubten, sondern dasselbige felscheten und
verleugneten, auch alle unterweisung und war-
nung verachteten, wie vorzeiten Arrius, Pelagius,
Manicheus, Novatus, Apollinaris, Nestorius, Do-
natus * 3 und zu unsern zeiten die widerteufer ge-
than haben, welche lereten und gleubten unrecht
wider das evangelium und wolten sich dazu
mit der hellen warheit nicht von ihrem irthum
abbringen lassen.

c Christliche kirche.
d Die ware kirche verdeckt.
3 Vgl. die ausführlichen Darstellungen dieser
Ketzereien weiter unten in dieser KO.

Unser lere, wie wir sie halten, ist zu Augs-
purg fur keiserlicher majestat und den stenden
des heiligen römischen reichs offentlich bekent
und im truck ausgeschrieben worden, dawider
wir noch keine griindliche widerlegung gesehen
haben, darauf sich die conscienz in der not ver-
lassen möcht. Darumb wöllen wir auf das erste,
das wir ketzer gescholten werden, also geant-
wortet haben:
Ketzer sind wir nicht und wöllens durch Got-
tes gnade nimermehr werden; denn wir wöllen
wissentlich wider keinen artikel unsers heiligen
christlichen glaubens leren, leren lassen oder
gleuben, wie sich solchs in der warheit von
artikel zu artikel in unser bekentnis erfinden
sol. Aber unser Gott Jhesus Christus, der auch
ein verfürer und Samaritan (welchs bey den
Jüden so viel was, als bey uns ein ketzer) ge-
nent ward, wölle es unserer widerpart verzeihen
und ihre herzen erleuchten, das sie sampt uns
dem evangelio der gnade Gottes gleuben und
alle irthum und beylere4 faren lassen. Amen.
Was die ware christliche kirche sey.
Die ware christliche kirchec, als uns Gottes
wort leret, ist eigentlich die geistliche versam-
lung der kinder Gottes oder christgleubigen in
der ganzen welt5, aus Jüden und heiden, in
einem glauben, hoffnung und liebe des Geistes,
welche versamlung Christus durch sein wort
und Geist zusamenbringet, heiliget und erhelt,
wie man gründlich Joh. 10 [16] und 11 [52],
Ephe. 5 [30. 32] erlernen mag, als wir im glau-
ben sprechen: Ich gleube eine heilige, allgemein
christliche kirchen, gemeinschaft der heiligen.
Die schrift leret uns aber dabey, das hie im
zeit bis an jüngsten tag diese heilige kirched
etlicherweis verborgen und zugedeckt ist. Denn
Paulus sagt [2. Tim 2, 19]: Gott kent die seinen.

4 = Irrlehre.
5 Vgl. Apol. VII, 9-11. 20 ff.; Bek. Schr. 235 f.
238 f.

945
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften