Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2003
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 29. November 2003
DOI Artikel:
Wyss, Beat: Repräsentation und Referenz: zwei Ausgänge aus dem Bildsystem
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0083
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
29. November 2003 | 95

mungskonzept kennt keine strikte Trennung zwischen dem Betrachter, dem Bild
und dem, was es „repräsentiert“. Im Wort „Repräsentation“ klingt ein durchaus
magisches Verständnis von bildlicher Gegenwart an: Der, die oder das Abgebildete
wird in einer evokativen Sinnesbewegung in effigie zum „Anwesenden“. Es liegt auf
der Hand, dass eine phänomenologische Wahrnehmungstheorie besonders gut anzu-
wenden ist auf bildpragmatische Kulturtechniken: Umgangsformen mit Bildern in
Ritualen des Gedenkens oder der symbolischen Vergegenwärtigung von Macht auf
den Gebieten der Ethnologie, Archäologie, Literaturwissenschaft und Kunstge-
schichte.
Phänomenologie steht in der Tradition des Sensualismus; ihr gilt George Ber-
keleys Satz: „Esse est percipi“. Nun verträgt sich gerade das essenzialistische Wahr-
nehmungskonzept schwer mit Semiotik. Semiotik kann verstanden werden als
methodischer Ausdruck einer Säkularisierung vom Bild zum Zeichen. Ist das reprä-
sentierte Ding für den Phänomenologen im Akt der Symbolisierung wie auch
immer virtuell “präsent”, bleibt es als „Referenz“ für die Semiotik außerhalb des
Zeichens. Umberto Eco schlägt vor, die Referenz „aus jeder semiotischen Untersu-
chung kurz und bündig zu eliminieren als ein Residuum, welches verhindert, das
kulturelle Wesen der Signifikationsprozesse zu begreifen.”2 Semiotik beschränke sich
darauf, das Zeichen als kulturelle Konvention zu untersuchen.
Während also Phänomenologie im Sinne eines modernen Sensualismus zur
Immanenz der Wahrnehmung tendiert, tendiert die Semiotik im Sinne des Positivis-
mus zur Immanenz des Zeichens. Die Unverträglichkeit zwischen Phänomenologie
und Semiotik hat einen mittelalterlichen Vorläufer im Universalienstreit. Im Begriff
der „Repräsentation“ lebt die Auffassung fort, wonach in der Erkenntnis eine Rea-
lität vor den Dingen auflebt (universalia sunt realia ante rem). In der „Referenz“ hin-
gegen wiederholt sich die nominalistische Einsicht, wonach Erkenntnis nur Sprach-
besitz hinter den Dingen darstellt („universalia sunt nomina post rem“).
2. Das Dreieck der Zeichen — nach Charles Peirce
Matter of Factness der Semiotik gegen die hermeneutische Sinnsuche der Phäno-
menologie: Mit dieser methodischen Flurbereinigung haben beide Verfahren ihre
Anwendungsbereiche, aber auch ihre Grenzen. Als Kunstfreund weiß ich mich ganz
wohl im phänomenologischen Körper des Wahrnehmens. Als Bildwissenschaftler
bleibe ich aber Hegelianer genug, des vielzitierten Satzes gedenk zu sein, wonach
moderne Kunsthistorik die Madonna auf dem Bild zwar erkennt, ihre Knie darob
aber nicht mehr beugt. Ich schätze es, zugleich kunstfromm sein zu dürfen und die
frische Luft semiotischer Agnostik zu genießen.
Mein Vorschlag geht nun dahin, die phänomenologische Trias — Bild, Körper,
Medium - mit einer semiotischen Trias parallel zu setzen, nämlich den drei Klassen

Umberto Eco: Einführung in die Semiotik, München: Fink, 1972, S. 71.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften