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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Antrittsreden
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Ramm, Ekkehard: Antrittsrede vom 10. Mai 2003
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0123
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Ekkehard Ramm

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Am Ende des Studiums musste ich mich dann doch entscheiden und begann
als wissenschaftlicher Assistent am Statik-Institut. Es war eine aufregende Zeit - es
war das Aufkommen der Großrechenanlagen: Ein Statiker hat immer viel zu rech-
nen (Konrad Zuse, der Erfinder des modernen Rechners, war Statiker). Wir nutzten
die ersten Möglichkeiten und ahnten, was da in den kommenden Jahren auf uns
zukommen würde: Jetzt können wir realitätsnähere Simulationsmodelle aufstellen,
Unsicherheiten beseitigen, leichter bauen, neue Tragsysteme entwickeln, an die
wir uns nie herangetraut hätten. Rückwirkend ist festzustellen: Die Entwicklung
ist in unserem Fach noch weit über das hinausgegangen, was wir damals geahnt
haben.
Promotion 1972; em Ingenieur geht dann normalerweise in die Praxis. Er lernt
erst das Handwerkszeug; eine rein wissenschaftliche Karriere und auch die Habili-
tation sind eher selten. Bei mir kam es - ich muss sagen ungeplant - anders. Ich
wollte in die USA. Mit einem Habilitationsstipendium der DFG durfte ich als Post-
doc an die University of California nach Berkeley, auch in unserem Fach der Struk-
turmechanik eine wissenschaftliche Hochburg. Es wurde em Meilenstein in meiner
persönlichen und fachlichen Entwicklung und es hat nicht viel gefehlt und ich wäre
da geblieben. Es war die Zeit, in der die Grundlagen für die Numerik der nichtli-
nearen Strukturmechanik gelegt wurden, das Gebiet, was man heute „Computatio-
nal Mechanics“ nennt.
Habilitation 1976; ich war schon 35 Jahre alt und wollte (sollte) nun in die Pra-
xis. Der Druck meiner Hochschullehrer war jedoch stärker. Eine H3-Stelle in
Bochum schlug ich aus und nahm ein gleiches Angebot in Stuttgart an. Ich nutzte
die folgende Zeit, um em eigenes Lehr- und Forschungsprofil zu gewinnen, nämlich
die numerischen Simulationsverfahren in der Statik und in der Dynamik, insbeson-
dere auch für dünnwandige gekrümmte Konstruktionen, die wir Schalen nennen.
Anfang der achtziger Jahre wurden mehrere Lehrstühle im deutschsprachigen
Raum frei, und ich bereitete mich darauf vor, Stuttgart zu verlassen. Daraus wurde
nichts, da die Kollegen mich mit aller Macht in Stuttgart halten wollten. So bin ich
bis heute dort und leite das Institut für Baustatik.
1985 bat mich der Architekt Frei Otto, der u.a. als Ideengeber für das Mün-
chener Olympiazelt bekannt ist, an einem neuen Sonderforschungsbereich „Natür-
liche Konstruktionen“ mitzuwirken. Es entstand einer der exotischsten und umstrit-
tensten Sonderforschungsbereiche in Deutschland, exotisch deshalb, weil hier so
unterschiedliche Wissenschaftler zusammenkamen wie Architekten, Bau- und Ver-
messungsingenieure, Physiker, Biologen, Paläontologen, Historiker, Philosophen.
Anfangs war auch ich skeptisch, die Sprachverwirrung der unterschiedlichen Diszi-
plinen war nicht gerade gering, später aber war ich begeistert über unsere Diskus-
sionen zur Selbstorganisation und nichtlinearen Dynamik, zu Evolution und Opti-
mierung, zu Minimalflächen und Stadtentwicklungen, zur Geschichte der Kon-
struktion und nicht zuletzt über den Natur- und Wissenschaftsbegriff. Wie es der
Zufall will, unser neues Mitglied Volker Mosbrugger war auch dabei. Heute bin ich
der Meinung, dass eigentlich jede Universität ein so weitspannendes Wissenschafts-
forum haben sollte.
 
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