Gerd Theißen
147
Antrittsrede von Herrn GERD THEISSEN
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 12. Juli 2003.
Für die Aufnahme in Ihren Kreis möchte ich mich
herzlich bedanken und darf mich kurz vorstellen. Ich
wurde vor 60 Jahren im Rheinland geboren. Mein Vater
war Mathematik- und Physiklehrer, meine Mutter Für-
sorgerin. Bei ihrem Tod 1946 hinterließ sie vier Kinder.
Mein Vater war damals noch lange in Kriegsgefangen-
schaft. Wir wuchsen dennoch unter glücklichen
Umständen auf.
In meiner Schulzeit (in der Oberstufe) hat mich
die Lektüre von Karl Jaspers und Max Weber beein-
druckt. Ich wollte, dadurch motiviert, Soziologie und
Psychologie studieren. Mein Vater war dagegen. Er hielt
das für brotlose Künste. Aufgrund persönlicher Entscheidungen und Erfahrungen
studierte ich dann am Ende Theologie und Germanistik, um Pfarrer und Lehrer zu
werden. Ich versprach mir mehr Freiheit, wenn ich nicht in einer, sondern in zwei
Institutionen tätig werden konnte.
Weil mein Vater zwölf Semester studiert hatte, war er so fair, mir ebenso viel
zu finanzieren. Das reichte, um während des Studiums (in Bonn) eine Promotion im
Fach Neues Testament zu schreiben. Mein Germanistikstudium habe ich dabei ver-
nachlässigt.
Nach meinem Rigorosum heiratete ich mit 25 Jahren (1968) meine Frau,
Christa Schaible, damals Assistentin am Psychologischen Seminar in Bonn. Danach
war ich ein Jahr in Göttingen und vier Jahre in Bonn Assistent.
Weil sich damals viele Studienkameraden von der Theologie abwandten,
schrieb ich auf, warum ich es nicht tat. Später habe ich diese Gedanken (1978) unter
dem Titel: „Argumente für einen kritischen Glauben oder: Was hält der Religions-
kritik stand?“ veröffentlicht. Grundgedanke war, dass Religion auf Resonanzerfah-
rung basiert und sich mit Absurditätserfahrungen auseinandersetzt. Sie beruht auf
Erfahrung und ist nicht nur Projektion.
Meine Predigten mit solch einer liberalen Theologie im Hintergrund kamen
zwar gut an, aber ich war unsicher, ob sie in Kirche und Theologie wirklich vertret-
bar war. Daher beeilte ich mich mit meiner Habilitation, um für andere Lebenswege
offen zu sein. In meiner Habilitationsschrift interpretierte ich die Wundererzählungen
der Evangelien als symbolische Handlungen, die sich gegen Krankheit und Not auf-
lehnen. Es fehlen in ihnen die charakteristischen Züge der radikalen Jesusworte, die
ich in meiner Antrittsvorlesung als Wanderradikalismus interpretierte, d.h. als das
Ethos heimatloser Anhänger Jesu, die Haus und Hof verlassen hatten und Aufforde-
rungen zu Heimat-, Besitz- und Familienlosigkeit glaubhaft tradieren konnten.
Ich war nun 29 Jahre alt, hatte zwei Kinder und rechnete nicht mit einer
Hochschullaufbahn. Ich wollte sie im Grunde auch nicht. Daher schloss ich noch em
147
Antrittsrede von Herrn GERD THEISSEN
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 12. Juli 2003.
Für die Aufnahme in Ihren Kreis möchte ich mich
herzlich bedanken und darf mich kurz vorstellen. Ich
wurde vor 60 Jahren im Rheinland geboren. Mein Vater
war Mathematik- und Physiklehrer, meine Mutter Für-
sorgerin. Bei ihrem Tod 1946 hinterließ sie vier Kinder.
Mein Vater war damals noch lange in Kriegsgefangen-
schaft. Wir wuchsen dennoch unter glücklichen
Umständen auf.
In meiner Schulzeit (in der Oberstufe) hat mich
die Lektüre von Karl Jaspers und Max Weber beein-
druckt. Ich wollte, dadurch motiviert, Soziologie und
Psychologie studieren. Mein Vater war dagegen. Er hielt
das für brotlose Künste. Aufgrund persönlicher Entscheidungen und Erfahrungen
studierte ich dann am Ende Theologie und Germanistik, um Pfarrer und Lehrer zu
werden. Ich versprach mir mehr Freiheit, wenn ich nicht in einer, sondern in zwei
Institutionen tätig werden konnte.
Weil mein Vater zwölf Semester studiert hatte, war er so fair, mir ebenso viel
zu finanzieren. Das reichte, um während des Studiums (in Bonn) eine Promotion im
Fach Neues Testament zu schreiben. Mein Germanistikstudium habe ich dabei ver-
nachlässigt.
Nach meinem Rigorosum heiratete ich mit 25 Jahren (1968) meine Frau,
Christa Schaible, damals Assistentin am Psychologischen Seminar in Bonn. Danach
war ich ein Jahr in Göttingen und vier Jahre in Bonn Assistent.
Weil sich damals viele Studienkameraden von der Theologie abwandten,
schrieb ich auf, warum ich es nicht tat. Später habe ich diese Gedanken (1978) unter
dem Titel: „Argumente für einen kritischen Glauben oder: Was hält der Religions-
kritik stand?“ veröffentlicht. Grundgedanke war, dass Religion auf Resonanzerfah-
rung basiert und sich mit Absurditätserfahrungen auseinandersetzt. Sie beruht auf
Erfahrung und ist nicht nur Projektion.
Meine Predigten mit solch einer liberalen Theologie im Hintergrund kamen
zwar gut an, aber ich war unsicher, ob sie in Kirche und Theologie wirklich vertret-
bar war. Daher beeilte ich mich mit meiner Habilitation, um für andere Lebenswege
offen zu sein. In meiner Habilitationsschrift interpretierte ich die Wundererzählungen
der Evangelien als symbolische Handlungen, die sich gegen Krankheit und Not auf-
lehnen. Es fehlen in ihnen die charakteristischen Züge der radikalen Jesusworte, die
ich in meiner Antrittsvorlesung als Wanderradikalismus interpretierte, d.h. als das
Ethos heimatloser Anhänger Jesu, die Haus und Hof verlassen hatten und Aufforde-
rungen zu Heimat-, Besitz- und Familienlosigkeit glaubhaft tradieren konnten.
Ich war nun 29 Jahre alt, hatte zwei Kinder und rechnete nicht mit einer
Hochschullaufbahn. Ich wollte sie im Grunde auch nicht. Daher schloss ich noch em