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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Antrittsreden
DOI Artikel:
Fiedler, Klaus: Antrittsrede vom 13. Dezember 2003
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0144
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ANTRITTSREDEN

durchaus mehr internationale Kontakte als typische deutsche Wissenschaftler jener
Zeit, trotz nach wie vor bestehender provinzieller Anbindung. Um em Haar hätte
ich 1990 sogar fast in Gießen eine C3-Professur auf Dauer bekommen, hätte nicht
das Hausberufungsverbot dagegen gestanden. So musste ich stattdessen in den bei-
den folgenden Jahren zwischen Mittelhessen und Mannheim pendeln, wo ich eine
C3 für Mikrosoziologie und Sozialpsychologie angetreten hatte. Inzwischen
bewohnte ich mit meiner Frau und meinen zwei Töchtern ein eigenes Haus und war
somit noch mehr an den mittelhessischen Raum gebunden. Statt endlich diesen ein-
mal gänzlich aufzugeben, konnte ich morgens auf der Autobahn meinem Kollegen
Stefan Hormuth - heute Präsident der Universität Gießen - zuwinken, der mir auf
dem Weg von Heidelberg nach Gießen entgegen pendelte. Wir beide waren gemein-
sam auf beiden Berufungslisten gestanden, in Mannheim und Gießen. Nur zwei
Jahre nach dem Engagement in Mannheim war ich bereits auf meiner bisher letzten
Etappe angekommen, nämlich meiner jetzigen Position in Heidelberg. Im Jahre
2001, nach elf Jahren Pendeln über 160 km, verlegte ich dann meinen privaten
Wohnsitz endgültig in den Heidelberger Raum.
Wie ich zur Psychologie als Studienfach und Berufswunsch gekommen bin,
weiß ich nicht mehr. Em angesehener Kollege aus der Sozialpsychologie, Bob Wick-
lund, der jetzt in Triest arbeitet, vertritt eine Theorie, genannt „symbolic self-com-
pletion theory“, die besagt, dass man solche Bestandteile des eigenen Lebens leicht
vergisst, die man wirklich komplett verinnerlicht hat. Meine Amnesie für den
Beginn meines Interesses an der Psychologie kann als Bestätigung für Bob Wick-
lund’s Theorie gelten, denn ich darf von mir sagen, mit Leib und Seele ein „kom-
pletter Psychologe“ zu sein, der dieses Berufsziel voll verinnerlicht hat. Dieses Fach
ist mir zu so einem natürlichen Lebensinhalt geworden, dass mir die Zeit davor, da
es noch Alternativen gab, gar nicht mehr vorstellbar erscheint. Dies impliziert kei-
neswegs ein Bekenntnis zur disziplinären Kurzsichtigkeit oder wider die interdiszi-
plinäre Arbeit — wo sie wirklich stattfindet. Nein, meine Identität als Psychologe hat
mich überhaupt nicht davon abgehalten, mich aktiv für manche Nachbardisziplin zu
interessieren, wie Linguistik, Soziologie, Wissenschaftstheorie, Rechtswissenschaft,
Ökonomie oder auch Computerwissenschaften. Ebenso wenig wie mich die auffäl-
lig lange Treue zu meiner Heimatregion davon abgehalten hat, reiche Kontakte zu
Kollegen in den USA, in Australien und vielen europäischen Ländern aufzubauen.
Für meine scheinbar eingeschränkte Mobilität gibt es einen anderen, äußeren
Grund. Als ich mich nach der Habilitation auf Professuren bewarb, dauerte es viele
Versuche, bis ich endlich einen Ruf auf eine zeitlich unbegrenzte Stelle erhielt. Am
Ende waren es mehrere Berufungen zugleich. Bis dahin landete ich sage und schrei-
be acht Mal auf der undankbaren Nummer zwei in der Berufungsliste, eine Platzie-
rung, die laut meinem Kollegen Thomas Gilovich das Gefühl der Frustration maxi-
miert. Tatsächlich dominierte bei mir meist nicht das Gefühl der Frustration, zumal
mir von beteiligten externen Gutachtern mehrfach vertraulich zurückgemeldet
wurde, dass ich eigentlich eine Stelle verdient gehabt hätte. Stattdessen war ich
damals oft erleichtert, und halte es auch im Rückblick für einen Glücksfall, dass mich
diese Bewerbungen nicht an manchen fernen und akademisch wenig erbaulichen
 
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