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FESTAKT
Landesherrn als „meine Hofnarren“ bezeichnen zu lassen — so geschehen in Frank-
reich unter Ludwig XIV.
Aber dennoch: Auch 100 Jahre reichen aus, um in schweres Wetter zu geraten,
um sich bewähren zu müssen. Auch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
ist dies nicht erspart geblieben. Ihre Gründung im Jahr 1909 geht zurück auf die
Mannheimer Familie Lanz, die zu jener Zeit die größte Landmaschinenfabrik
Deutschlands betrieb. Es ist dem vorbildhaften Engagement von Heinrich Lanz und
seinem Sohn Karl zu verdanken, dass die Finanzierung der Akademie über eine Stif-
tung sichergestellt werden konnte. Ich habe hohen Respekt vor einem Mäzenaten-
tum dieser Art und freue mich sehr, dass heute mit Herrn Peter Lanz ein Urenkel
des Stifters unter uns ist. Die HAW ist denn auch die einzige Akademie, die in ihren
Anfängen nicht vom Staat unterhalten wurde. Leider jedoch dezimierte sich das Stif-
tungsvermögen in den 20er Jahren durch die weltweite Wirtschaftskrise. In jenen
Jahren war ungewiß, ob man einmal auf 100 Jahre HAW würde zurückblicken kön-
nen. In Anbetracht dieser glücklich überstandenen Gefahr sind 100 Jahre eben doch
ein stolzes Alter für die HAW.
Nachdem vom Stiftungskapital durch Inflation nur noch 22.000 Reichsmark
übrig waren, gelangte die Akademie ab 1924 unter das schützende Dach des Landes
Baden. Zunächst mit freiwilligen Leistungen, später, ab dem Jahr 1974, fest verankert
im baden-württembergischen Landeshaushalt. Seit 1966 ist die HAW als Landesaka-
demie von Baden-Württemberg anerkannt.
100 Jahre reichen auch aus, um von politischen Stürmen erfasst zu werden.
Betrachtet man die Geschichte der HAW während der nationalsozialistischen Dik-
tatur, so ist der Präsidentin der Universität Cambridge, Alison Richard, beizupflich-
ten. In einem Interview brachte sie jüngst den Erfolg englischer Universitäten
gegenüber den deutschen in Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich der im 19.
Jahrhundert bestehende Vorbildcharakter der deutschen Universitäten im 20. Jahr-
hundert auflöste — „zwei Weltkriege, Verfolgung, Vertreibung, das hatte Folgen“,
unterstrich sie. Wie wahr: Bereits im April 1933 musste beispielsweise Raymond
Klibansky, Mitglied der HAW, die Universität Heidelberg verlassen. Er emigrierte
und lebte später in Montreal - einer der bedeutendsten Forscher über Meister
Eckhart und Nicolaus Cusanus. Oder Wilhelm Salomon-Calvi: Er ließ sich vorzei-
tig emeritieren und folgte einem Ruf nach Ankara. Der bedeutende Geologe war an
den Forschungen zum Homo heidelbergensis beteiligt. Nur zwei Beispiele für die
großen Verluste und die tiefen Wunden, die auch der Wissenschaft in Deutschland
zugefügt wurden und die sich noch Jahrzehnte später auswirken sollten. Es ist gut,
dass Universität und Akademie dieses dunkle Kapitel aufgearbeitet haben.
100 Jahre reichen aber auch aus, um Aufgaben anzupacken, sich weiterzuent-
wickeln. Die HAW ist Gelehrtenversammlung und außeruniversitäre Forschungs-
einrichtung zugleich. Ihre Mitglieder repräsentieren das gesamte Spektrum der Wis-
senschaften von der Theologie bis zu den Ingenieurwissenschaften und vertreten die
Spitzenforschung von Baden-Württemberg. Wenn diese Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler über ihre Fächergrenzen hinweg und durch einen Gutteil der kor-
respondierenden Mitglieder international verstärkt in der HAW zum Gespräch
FESTAKT
Landesherrn als „meine Hofnarren“ bezeichnen zu lassen — so geschehen in Frank-
reich unter Ludwig XIV.
Aber dennoch: Auch 100 Jahre reichen aus, um in schweres Wetter zu geraten,
um sich bewähren zu müssen. Auch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
ist dies nicht erspart geblieben. Ihre Gründung im Jahr 1909 geht zurück auf die
Mannheimer Familie Lanz, die zu jener Zeit die größte Landmaschinenfabrik
Deutschlands betrieb. Es ist dem vorbildhaften Engagement von Heinrich Lanz und
seinem Sohn Karl zu verdanken, dass die Finanzierung der Akademie über eine Stif-
tung sichergestellt werden konnte. Ich habe hohen Respekt vor einem Mäzenaten-
tum dieser Art und freue mich sehr, dass heute mit Herrn Peter Lanz ein Urenkel
des Stifters unter uns ist. Die HAW ist denn auch die einzige Akademie, die in ihren
Anfängen nicht vom Staat unterhalten wurde. Leider jedoch dezimierte sich das Stif-
tungsvermögen in den 20er Jahren durch die weltweite Wirtschaftskrise. In jenen
Jahren war ungewiß, ob man einmal auf 100 Jahre HAW würde zurückblicken kön-
nen. In Anbetracht dieser glücklich überstandenen Gefahr sind 100 Jahre eben doch
ein stolzes Alter für die HAW.
Nachdem vom Stiftungskapital durch Inflation nur noch 22.000 Reichsmark
übrig waren, gelangte die Akademie ab 1924 unter das schützende Dach des Landes
Baden. Zunächst mit freiwilligen Leistungen, später, ab dem Jahr 1974, fest verankert
im baden-württembergischen Landeshaushalt. Seit 1966 ist die HAW als Landesaka-
demie von Baden-Württemberg anerkannt.
100 Jahre reichen auch aus, um von politischen Stürmen erfasst zu werden.
Betrachtet man die Geschichte der HAW während der nationalsozialistischen Dik-
tatur, so ist der Präsidentin der Universität Cambridge, Alison Richard, beizupflich-
ten. In einem Interview brachte sie jüngst den Erfolg englischer Universitäten
gegenüber den deutschen in Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich der im 19.
Jahrhundert bestehende Vorbildcharakter der deutschen Universitäten im 20. Jahr-
hundert auflöste — „zwei Weltkriege, Verfolgung, Vertreibung, das hatte Folgen“,
unterstrich sie. Wie wahr: Bereits im April 1933 musste beispielsweise Raymond
Klibansky, Mitglied der HAW, die Universität Heidelberg verlassen. Er emigrierte
und lebte später in Montreal - einer der bedeutendsten Forscher über Meister
Eckhart und Nicolaus Cusanus. Oder Wilhelm Salomon-Calvi: Er ließ sich vorzei-
tig emeritieren und folgte einem Ruf nach Ankara. Der bedeutende Geologe war an
den Forschungen zum Homo heidelbergensis beteiligt. Nur zwei Beispiele für die
großen Verluste und die tiefen Wunden, die auch der Wissenschaft in Deutschland
zugefügt wurden und die sich noch Jahrzehnte später auswirken sollten. Es ist gut,
dass Universität und Akademie dieses dunkle Kapitel aufgearbeitet haben.
100 Jahre reichen aber auch aus, um Aufgaben anzupacken, sich weiterzuent-
wickeln. Die HAW ist Gelehrtenversammlung und außeruniversitäre Forschungs-
einrichtung zugleich. Ihre Mitglieder repräsentieren das gesamte Spektrum der Wis-
senschaften von der Theologie bis zu den Ingenieurwissenschaften und vertreten die
Spitzenforschung von Baden-Württemberg. Wenn diese Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler über ihre Fächergrenzen hinweg und durch einen Gutteil der kor-
respondierenden Mitglieder international verstärkt in der HAW zum Gespräch