4. Juli 2009
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Fragen wir daher darüber hinaus, was die akademische Welt über die Bereit-
stellung von Wissen hinaus für die Gesellschaft bedeutet — denn dass sie Wissen
genauso erzeugt, wie das Weidevieh Milch, kann man füglich von ihr erwarten,
solange beide nur gut gefüttert werden. Hier gerät die Wissenschaft nun wirklich in
einen an ihr unablässig und machtvoll zerrenden Zangengriff widersprechender
Erwartungen, bei denen auf einmal den Wissenschaftsakademien eine ganz neue,
erheblich gewichtigere Rolle zufallen könnte. Ich beziehe mich dabei vor allem auf
folgende Werke: auf Derek Bok’s, des früheren langjährigen Präsidenten der Harvard
Universität „Universities in the Market Place“ (2003); auf das 2007 erschienene Buch
des US-amerikanischen Journalisten Daniel S. Greenberg: „Science for Sale“; auf das
ebenfalls 2007 erschienene „The Flight of the Creative Class“ des Professors für öffent-
liche Politik der George Mason University Richard Florida; und auf das 2009 bei
Harvard University Press erschienene „Tapping the Riehes of Science: Universities and the
Promise of Economic Groivth“ der US-Ökonomen Roger L. Geiger und Creso M. Sä.
Aber bevor ich das Messer ganz nahe neben die heilige Kuh lege, noch einige
Vorbemerkungen dazu: Es kann nämlich gar keine Frage sein, dass die akademische
Welt, vor allem die Hochschulen, auch wirtschaftlichen Bedürfnissen zu dienen
haben - das heißt dem Kapital und den Arbeitsplätzen — nicht nur, weil es ohne Wis-
senschaft und Forschung keine Innovation, also keine neuen vermarktbaren Pro-
blemlösungen und Produkte geben kann, sondern auch weil die Wissenschaft wohl
weiß, dass sie nur in einer florierenden Wirtschaft gute Arbeitsbedingungen finden
könnte. Dies gilt in der derzeitigen Krise in verstärktem Maße, was immer ihre —
weitgehend selbstverschuldeten — Ursachen sein mögen.Wenn sich derzeit die Bun-
desregierung allerdings wundert, dass die Deutschen so gelassen seien, so könnte sie
einen Fehler machen: Vielleicht sind sie ja nur gelähmt, d.h. nicht bei den nötigen
Kräften, oder in Schreckstarre über das, was sie aus Berlin hören! Zwar wissen wir
zur Genüge, dass eine sozialistische Diktatur zu Verarmung und Unfreiheit führt; aber
wissen wir wirklich so genau, ob eine Kapital- oder genauer Renditediktatur nicht
auch gefährliche Folgen haben kann? Versprechen Renditesüchtiger, künftig besser
Maß zu halten, scheinen allerdings genauso glaubwürdig, wie das Versprechen eines
Alkoholikers, mit dem Trinken aufzuhören. Da wirbt eine große deutsche Bank, —
die damit für viele Banken der Welt sprechen könnte, — mit einem Spruch, der so
ähnlich klingt wie „Leistung, die Leiden schafft!“ Früher ahnte man vielleicht, daß
man sein sauer erarbeitetes Geld aus Wertsteigerungssucht eben zur glitzernden
Spielbank trug: heute klingt das eher nach jener Bank aus grobem Holze, auf der
man nur noch niederknien und beten kann! Allenthalben wird — wie bei Karl
Valentin - darüber nachgedacht, was zu tun sei, damit etwas geschieht, aber dabei
nichts passiert. Ut aliquidfiat - sagten hilflose Ärzte von früher am Krankenbett eines
Leidenden. Hoffentlich kommen die vielen Nachdenker, z.B. über schärfere, politi-
sche Kontrollen, bald auch zu wirksamen Ergebnissen. Zur Zeit verhalten sich viele
Deutsche anscheinend so, als sei ihnen von Kapital- wie Gewerkschaftsseite als Kon-
firmationsspruch zugeteilt worden: „Der Staat sei Dein Hirte, er soll für Dich sor-
gen“. Während sich von der Autoindustrie bis zu manchen Kaufhäusern, von Milch-
bauern bis zu Erzieherinnen und nun auch noch Werften im Wahljahr alle unter dem
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Fragen wir daher darüber hinaus, was die akademische Welt über die Bereit-
stellung von Wissen hinaus für die Gesellschaft bedeutet — denn dass sie Wissen
genauso erzeugt, wie das Weidevieh Milch, kann man füglich von ihr erwarten,
solange beide nur gut gefüttert werden. Hier gerät die Wissenschaft nun wirklich in
einen an ihr unablässig und machtvoll zerrenden Zangengriff widersprechender
Erwartungen, bei denen auf einmal den Wissenschaftsakademien eine ganz neue,
erheblich gewichtigere Rolle zufallen könnte. Ich beziehe mich dabei vor allem auf
folgende Werke: auf Derek Bok’s, des früheren langjährigen Präsidenten der Harvard
Universität „Universities in the Market Place“ (2003); auf das 2007 erschienene Buch
des US-amerikanischen Journalisten Daniel S. Greenberg: „Science for Sale“; auf das
ebenfalls 2007 erschienene „The Flight of the Creative Class“ des Professors für öffent-
liche Politik der George Mason University Richard Florida; und auf das 2009 bei
Harvard University Press erschienene „Tapping the Riehes of Science: Universities and the
Promise of Economic Groivth“ der US-Ökonomen Roger L. Geiger und Creso M. Sä.
Aber bevor ich das Messer ganz nahe neben die heilige Kuh lege, noch einige
Vorbemerkungen dazu: Es kann nämlich gar keine Frage sein, dass die akademische
Welt, vor allem die Hochschulen, auch wirtschaftlichen Bedürfnissen zu dienen
haben - das heißt dem Kapital und den Arbeitsplätzen — nicht nur, weil es ohne Wis-
senschaft und Forschung keine Innovation, also keine neuen vermarktbaren Pro-
blemlösungen und Produkte geben kann, sondern auch weil die Wissenschaft wohl
weiß, dass sie nur in einer florierenden Wirtschaft gute Arbeitsbedingungen finden
könnte. Dies gilt in der derzeitigen Krise in verstärktem Maße, was immer ihre —
weitgehend selbstverschuldeten — Ursachen sein mögen.Wenn sich derzeit die Bun-
desregierung allerdings wundert, dass die Deutschen so gelassen seien, so könnte sie
einen Fehler machen: Vielleicht sind sie ja nur gelähmt, d.h. nicht bei den nötigen
Kräften, oder in Schreckstarre über das, was sie aus Berlin hören! Zwar wissen wir
zur Genüge, dass eine sozialistische Diktatur zu Verarmung und Unfreiheit führt; aber
wissen wir wirklich so genau, ob eine Kapital- oder genauer Renditediktatur nicht
auch gefährliche Folgen haben kann? Versprechen Renditesüchtiger, künftig besser
Maß zu halten, scheinen allerdings genauso glaubwürdig, wie das Versprechen eines
Alkoholikers, mit dem Trinken aufzuhören. Da wirbt eine große deutsche Bank, —
die damit für viele Banken der Welt sprechen könnte, — mit einem Spruch, der so
ähnlich klingt wie „Leistung, die Leiden schafft!“ Früher ahnte man vielleicht, daß
man sein sauer erarbeitetes Geld aus Wertsteigerungssucht eben zur glitzernden
Spielbank trug: heute klingt das eher nach jener Bank aus grobem Holze, auf der
man nur noch niederknien und beten kann! Allenthalben wird — wie bei Karl
Valentin - darüber nachgedacht, was zu tun sei, damit etwas geschieht, aber dabei
nichts passiert. Ut aliquidfiat - sagten hilflose Ärzte von früher am Krankenbett eines
Leidenden. Hoffentlich kommen die vielen Nachdenker, z.B. über schärfere, politi-
sche Kontrollen, bald auch zu wirksamen Ergebnissen. Zur Zeit verhalten sich viele
Deutsche anscheinend so, als sei ihnen von Kapital- wie Gewerkschaftsseite als Kon-
firmationsspruch zugeteilt worden: „Der Staat sei Dein Hirte, er soll für Dich sor-
gen“. Während sich von der Autoindustrie bis zu manchen Kaufhäusern, von Milch-
bauern bis zu Erzieherinnen und nun auch noch Werften im Wahljahr alle unter dem