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SITZUNGEN
(1 Kor 14; s.o.). Dem „Gesetz der Sünde“, von dem die fleischlichen Glieder des Lei-
bes beherrscht sind, wird im Römerbrief eingehend das „Gesetz meiner Vernunft“,
das vom Geist bestimmt ist, entgegengestellt (Röm 7,23ff). Paulus kann sogar von
einem nous Gottes sprechen (Röm 11,34) und von einem auf die Erkenntnis des
Willens Gottes hin erneuerbaren nous des Menschen (Röm 12,2). Paulus sieht also
Verstand respektive Vernunft als die Religiosität fördernd und von ihr getragen an.
Allerdings verweist er auch auf die Möglichkeit, dass Gott Menschen an einen „ver-
werflichen nous“ dahingibt (Röm 1,28). So wenig Gebet, Doxologie und Erkennt-
nis des göttlichen Willens auf rationale Konsistenz verzichten sollten, so sehr ist doch
rationale Konsistenz im Abwegigen zu furchten.
IV Herz und Gewissen als Indikatoren für zu erschließende anthropologische Themenfelder
Obwohl die psyche nach Paulus die irdische leiblich-mentale Einheit eines Menschen
chiffriert, ist sie keine soteriologische Größe. D.h. „der Seele“ an sich kommen nicht
Unsterblichkeit und andere eschatologische Privilegien zu. Paulus steht damit im fast
flächendeckenden biblischen Konsens (außerTobit 3,17; 4,3), Der Geist Gottes wirkt
nicht direkt in die psyche hinein, sondern er berührt über das Herz, die kardia, im
menschlichen Leib indirekt die Seele. Das Herz ist in der Anthropologie des Paulus
eine überaus wichtige Größe. Wie auch schon im Alten Testament (861 Belege für
leb bzw. lebab) verbindet es bei ihm „vegetative, emotionale, noetische und volunta-
tive Funktionen“.11 Chiffriert die psyche die irdische leiblich-mentale Einheit eines
Menschen, so steht das Herz für die instanziierte emotional-voluntative Tiefe. Über
das Herz erreicht der göttliche Geist den Leib und die mentalen Kapazitäten des
Menschen (2 Kor 1,22; 3,3; Gal 4,6; Röm 3,29; 5,5). Ja, Gott selbst kann im Herzen
des Menschen „aufleuchten“ (2 Kor 4,6). Das göttliche Wort weckt im Herzen den
Glauben (Röm 10,8ff).
Wie der Geist kann auch das Herz auf Abwesende ausgerichtet sein und sie
imaginativ, ja sehnend präsent werden lassen: „weil ihr uns fern seid, den Augen fern,
nicht dem Herzen; deshalb haben wir uns in größter Sehnsucht ... bemüht, euch
wiederzusehen“ (1 Thess 1,17). Das Herz kann den Abwesenden „Raum geben“ im
Inneren des Menschen (2 Kor 3,2; 6,11; Röm 7,2f). Allerdings ist es so an den Leib
und „das Innere“ des Menschen gebunden, dass man nicht sagen kann: mein Herz
ist bei euch präsent! Es ist auch der Ort verborgener Intentionen und Gedanken, die
nur mit Hilfe des Geistes aufgedeckt werden können (IKor 14,25), zuweilen erst
durch Gottes Geist im eschatologischen Gericht (1 Kor 4,5; Röm 8,27). Das Herz
bündelt emotionale und moralische Energien, es gibt charakterliche „Festigkeit“,
empfängt Trost und Orientierung (IThess 3,13; IKor 7,37; 2 Thess 2,17; 3,5); es ist
der Ort des Eifers und der festen Vorsätze und des geistlichen Gehorsams (Röm 6,17;
8,16; 9,7). Als menschliches Vermögen kann es aber auch unverständig sein, ja mit
Diese Funktionen und ihre Interdependenzen erläutert eindrücklich Bernd Janowski, Konflikt-
gespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchener Verlag: Neukirchen 2. Aufl.
2006,166-170.
SITZUNGEN
(1 Kor 14; s.o.). Dem „Gesetz der Sünde“, von dem die fleischlichen Glieder des Lei-
bes beherrscht sind, wird im Römerbrief eingehend das „Gesetz meiner Vernunft“,
das vom Geist bestimmt ist, entgegengestellt (Röm 7,23ff). Paulus kann sogar von
einem nous Gottes sprechen (Röm 11,34) und von einem auf die Erkenntnis des
Willens Gottes hin erneuerbaren nous des Menschen (Röm 12,2). Paulus sieht also
Verstand respektive Vernunft als die Religiosität fördernd und von ihr getragen an.
Allerdings verweist er auch auf die Möglichkeit, dass Gott Menschen an einen „ver-
werflichen nous“ dahingibt (Röm 1,28). So wenig Gebet, Doxologie und Erkennt-
nis des göttlichen Willens auf rationale Konsistenz verzichten sollten, so sehr ist doch
rationale Konsistenz im Abwegigen zu furchten.
IV Herz und Gewissen als Indikatoren für zu erschließende anthropologische Themenfelder
Obwohl die psyche nach Paulus die irdische leiblich-mentale Einheit eines Menschen
chiffriert, ist sie keine soteriologische Größe. D.h. „der Seele“ an sich kommen nicht
Unsterblichkeit und andere eschatologische Privilegien zu. Paulus steht damit im fast
flächendeckenden biblischen Konsens (außerTobit 3,17; 4,3), Der Geist Gottes wirkt
nicht direkt in die psyche hinein, sondern er berührt über das Herz, die kardia, im
menschlichen Leib indirekt die Seele. Das Herz ist in der Anthropologie des Paulus
eine überaus wichtige Größe. Wie auch schon im Alten Testament (861 Belege für
leb bzw. lebab) verbindet es bei ihm „vegetative, emotionale, noetische und volunta-
tive Funktionen“.11 Chiffriert die psyche die irdische leiblich-mentale Einheit eines
Menschen, so steht das Herz für die instanziierte emotional-voluntative Tiefe. Über
das Herz erreicht der göttliche Geist den Leib und die mentalen Kapazitäten des
Menschen (2 Kor 1,22; 3,3; Gal 4,6; Röm 3,29; 5,5). Ja, Gott selbst kann im Herzen
des Menschen „aufleuchten“ (2 Kor 4,6). Das göttliche Wort weckt im Herzen den
Glauben (Röm 10,8ff).
Wie der Geist kann auch das Herz auf Abwesende ausgerichtet sein und sie
imaginativ, ja sehnend präsent werden lassen: „weil ihr uns fern seid, den Augen fern,
nicht dem Herzen; deshalb haben wir uns in größter Sehnsucht ... bemüht, euch
wiederzusehen“ (1 Thess 1,17). Das Herz kann den Abwesenden „Raum geben“ im
Inneren des Menschen (2 Kor 3,2; 6,11; Röm 7,2f). Allerdings ist es so an den Leib
und „das Innere“ des Menschen gebunden, dass man nicht sagen kann: mein Herz
ist bei euch präsent! Es ist auch der Ort verborgener Intentionen und Gedanken, die
nur mit Hilfe des Geistes aufgedeckt werden können (IKor 14,25), zuweilen erst
durch Gottes Geist im eschatologischen Gericht (1 Kor 4,5; Röm 8,27). Das Herz
bündelt emotionale und moralische Energien, es gibt charakterliche „Festigkeit“,
empfängt Trost und Orientierung (IThess 3,13; IKor 7,37; 2 Thess 2,17; 3,5); es ist
der Ort des Eifers und der festen Vorsätze und des geistlichen Gehorsams (Röm 6,17;
8,16; 9,7). Als menschliches Vermögen kann es aber auch unverständig sein, ja mit
Diese Funktionen und ihre Interdependenzen erläutert eindrücklich Bernd Janowski, Konflikt-
gespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchener Verlag: Neukirchen 2. Aufl.
2006,166-170.