142 | ANTRITTSREDEN
Diese frühen Eindrücke meiner Kindheit und Gymnasialjahre treten in der
Erinnerung zurück hinter dem, was Leipzig für mich bedeutet hat. Ich habe die Lei-
pziger Universität als Student der mittleren Semester bezogen und habe sie acht
Jahre später als Dozent wieder verlassen. Ich konnte in dieser Zeitspanne lernen an
einer Hochschule, an der ein Geist ungewöhnlicher wissenschaftlicher Hingabe und
ungebrochener akademischer Tradition lebendig war, eine Gesinnung, die sich das
wissenschaftliche Leipzig im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten bis zur
gegenwärtigen Stunde als kostbarstes Erbstück bewahrt hat. Neben der genialen
Erscheinung des großen Orientalisten Benno Landsberger sind es vor allem zwei
Persönlichkeiten, denen ich zu danken habe: Richard Heinze, der hervorragende
klassische Philologe, der „Schmied der lateinischen Philologie“, wie ihn Wilamowitz
genannt hat, der uns Studenten schon damals und jetzt in der Rückerinnerung nach
über 15 Jahren nicht weniger als die Verkörperung echten deutschen Gelehrtentums
erschien: in seiner bewunderungswürdigen Gelehrsamkeit, in seiner das eigene Ich
auslöschenden sachlichen Strenge und schließlich in dem unausgesprochenen Ergrif-
fensein von dem Gegenstand seiner Arbeit. Damals erschienen seine letzten berühm-
ten Arbeiten über die „Ursachen der Größe Roms“ und die römischen Begriffe der
„auctoritas“ und „fides“, die er in ihrer Besonderheit zu fassen verstand — sie sind in
ihrer Verbindung von großer Kunst der Interpretation und historischem Blick vor-
bildlich geworden für eine ganze Generation wissenschaftlicher Arbeit weit über das
eigentliche Fachgebiet hinaus.
Und neben ihm ist Helmut Berve zu nennen, dessen Schüler im eigentlichen
Sinn ich bin; er hat uns immer wieder angehalten, eine strenge Methode des Aus-
gehens von der Überlieferung mit einer wirklichen historischen Fragestellung zu
verbinden. Unter seiner Obhut ist aus meiner Dissertation ein erstes größeres Buch
entstanden, das den Versuch macht, eine Formengeschichte des griechischen zwei-
staatlichen Lebens zu geben. Seitdem bin ich der Erforschung des griechischen
Staates mit seinem Reichtum an Erscheinungen und seiner tiefen Verbindung zum
Ideenmäßigen treu geblieben; ich habe mich darüber hinaus in mehreren Aufsätzen
um das 5. Jahrhundert, die klassische Zeit des Griechentums, bemüht und bin
schließlich von diesen Voraussetzungen von selbst darauf gekommen, die griechische
Kolonisation, jene grandiose Expansionsbewegung des Griechentums weit über
seine ursprünglich engen Siedlungsräume hinaus, zum Gegenstand meiner Arbeit zu
machen. Die letzten Jahre waren zu einem nicht geringen Teil der Aufgabe gewid-
met, das literarische Material für diese Arbeit zu sammeln, dagegen hat es der Krieg
unmöglich gemacht, diese Vorstudien durch die erforderlichen Reisen im Süden
abzuschließen und zu vollenden.
Wie wohl bei jedem von uns, hat es in meiner Entwicklung einen tiefen
Schnitt und eine neue Wendung auch des geistigen Werdens bedeutet, daß ich vor
neun Jahren als Leipziger Dozent Lehrverpflichtungen übernahm, die mich über
Halle und Jena vor drei Jahren nach Heidelberg geführt haben. Ich danke dem mir
an sich nicht immer erwünschten Zwang,Vorlesungen und Übungen halten zu müs-
sen, Wesentliches. Ich bin genötigt gewesen, mich von meinen Spezialgebieten zu
lösen und mich in das Gesamtgebiet der antiken Geschichte einzuarbeiten. Ich habe
Diese frühen Eindrücke meiner Kindheit und Gymnasialjahre treten in der
Erinnerung zurück hinter dem, was Leipzig für mich bedeutet hat. Ich habe die Lei-
pziger Universität als Student der mittleren Semester bezogen und habe sie acht
Jahre später als Dozent wieder verlassen. Ich konnte in dieser Zeitspanne lernen an
einer Hochschule, an der ein Geist ungewöhnlicher wissenschaftlicher Hingabe und
ungebrochener akademischer Tradition lebendig war, eine Gesinnung, die sich das
wissenschaftliche Leipzig im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten bis zur
gegenwärtigen Stunde als kostbarstes Erbstück bewahrt hat. Neben der genialen
Erscheinung des großen Orientalisten Benno Landsberger sind es vor allem zwei
Persönlichkeiten, denen ich zu danken habe: Richard Heinze, der hervorragende
klassische Philologe, der „Schmied der lateinischen Philologie“, wie ihn Wilamowitz
genannt hat, der uns Studenten schon damals und jetzt in der Rückerinnerung nach
über 15 Jahren nicht weniger als die Verkörperung echten deutschen Gelehrtentums
erschien: in seiner bewunderungswürdigen Gelehrsamkeit, in seiner das eigene Ich
auslöschenden sachlichen Strenge und schließlich in dem unausgesprochenen Ergrif-
fensein von dem Gegenstand seiner Arbeit. Damals erschienen seine letzten berühm-
ten Arbeiten über die „Ursachen der Größe Roms“ und die römischen Begriffe der
„auctoritas“ und „fides“, die er in ihrer Besonderheit zu fassen verstand — sie sind in
ihrer Verbindung von großer Kunst der Interpretation und historischem Blick vor-
bildlich geworden für eine ganze Generation wissenschaftlicher Arbeit weit über das
eigentliche Fachgebiet hinaus.
Und neben ihm ist Helmut Berve zu nennen, dessen Schüler im eigentlichen
Sinn ich bin; er hat uns immer wieder angehalten, eine strenge Methode des Aus-
gehens von der Überlieferung mit einer wirklichen historischen Fragestellung zu
verbinden. Unter seiner Obhut ist aus meiner Dissertation ein erstes größeres Buch
entstanden, das den Versuch macht, eine Formengeschichte des griechischen zwei-
staatlichen Lebens zu geben. Seitdem bin ich der Erforschung des griechischen
Staates mit seinem Reichtum an Erscheinungen und seiner tiefen Verbindung zum
Ideenmäßigen treu geblieben; ich habe mich darüber hinaus in mehreren Aufsätzen
um das 5. Jahrhundert, die klassische Zeit des Griechentums, bemüht und bin
schließlich von diesen Voraussetzungen von selbst darauf gekommen, die griechische
Kolonisation, jene grandiose Expansionsbewegung des Griechentums weit über
seine ursprünglich engen Siedlungsräume hinaus, zum Gegenstand meiner Arbeit zu
machen. Die letzten Jahre waren zu einem nicht geringen Teil der Aufgabe gewid-
met, das literarische Material für diese Arbeit zu sammeln, dagegen hat es der Krieg
unmöglich gemacht, diese Vorstudien durch die erforderlichen Reisen im Süden
abzuschließen und zu vollenden.
Wie wohl bei jedem von uns, hat es in meiner Entwicklung einen tiefen
Schnitt und eine neue Wendung auch des geistigen Werdens bedeutet, daß ich vor
neun Jahren als Leipziger Dozent Lehrverpflichtungen übernahm, die mich über
Halle und Jena vor drei Jahren nach Heidelberg geführt haben. Ich danke dem mir
an sich nicht immer erwünschten Zwang,Vorlesungen und Übungen halten zu müs-
sen, Wesentliches. Ich bin genötigt gewesen, mich von meinen Spezialgebieten zu
lösen und mich in das Gesamtgebiet der antiken Geschichte einzuarbeiten. Ich habe