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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Antrittsreden
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Strohm, Christoph: Antrittsrede vom 24. Januar 2009
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0132
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148 | ANTRITTSREDEN

Antrittsrede von Herrn CHRISTOPH STROHM
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 24. Januar 2009.


Herr Präsident, meine Damen und Herren!
„[...] mein Beruf ist, das Innerste des religiösen Lebens in
der Historie zu erfassen und zur bewegenden Darstel-
lung zu bringen in unseren von Staat und Wissenschaft
ausschließlich bewegten Zeiten.“1 Dieser Satz des
knapp 27jährigen Wilhelm Dilthey aus dem Jahre 1860
mag Ihnen aufs kürzeste zusammengefasst Auskunft
über meine intellektuellen Leidenschaften geben.
Im Jahre 1958 geboren und die ersten Lebensjah-
re aufgewachsen bin ich in einem Pfarrhaus in einem
kleinen Dorf bei Memmingen im Allgäu, mit vier

Geschwistern, zwei jüngeren und zwei älteren, zwei Schwestern und zwei Brüdern.
Das Elternhaus glich in vielem dem oft beschriebenen klassischen protestantischen
Pfarrhaus. Es gab die Strenge des protestantischen Ethos’, das sich in den Dienst stellt
und Verantwortung übernimmt und das eigene Wohlergehen und die hierfür hilfrei-
chen Genussmittel zurückstellt. Pathetisches Reden war verpönt, vielleicht auch weil
die Eltern das Aufpeitschen von Emotionen als junge Menschen in der Zeit der
nationalsozialistischen Herrschaft erfahren hatten. Es war nicht viel Zeit zum

Gespräch, aber gute Argumente jedweder Couleur fanden immer Gehör. Es war
nicht unbedingt Humor, der hier besonders gepflegt wurde, dafür aber Musik und
Kunst. Engagement für das Gemeinwesen wurde gelobt, über gute Noten sprach
man nicht.

Mein Vater stammt aus einer Familie, die manch bekannten Juristen und Theo-
logen im Sächsischen und Fränkischen hervorgebracht hat.Vater und Großvater mei-
ner Mutter waren Arzte in Bremen. Durch meine Mutter waren reformierte Prä-
gungen in dem lutherischen Pfarrhaus präsent und noch heute ist mir als Theologen
das Interesse an der protestantischen Pluralität besonders wichtig.
Das traditionsreiche humanistische Gymnasium Casimirianum in der alten
Residenzstadt Coburg, in der ich seit dem 7. Lebensjahr aufwuchs, bot die Chance,
unter sehr guten Bedingungen zu lernen. Die Anfänge der Odyssee lernte ich bei
einem Lehrer auswendig, der selbst eine Edition des Textes erstellt hatte. Wichtig war,
dass das Leben in der kleinen Schule überschaubar blieb, so dass die notwendigen
Konflikte mit dieser traditionsreichen Welt nicht unnötig eskalierten.
Am Ende der Schulzeit stand mir vor Augen, Geschichte zu studieren. Einen
Moment lang dachte ich auch daran, Ingenieur zu werden. Die 15 Monate Wehr-
dienst habe ich mit intensivster Lektüre klassischer Literatur verbracht und mich hier

1 Tagebucheintrag v. 14.11.1860, abgedr. in: Clara Misch, Der junge Dilthey. Ein Lebensbild in
Briefen und Tagebüchern 1852—1870, Stuttgart/Göttingen (1933) 21960, S. 140.
 
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