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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Antrittsreden
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Thadden, Ernst-Ludwig von: Antrittsrede vom 24. Oktober 2009
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0145
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Ernst-Ludwig von Thadden

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movieren. In Bonn lehrten die drei besten Wirtschaftswissenschaftler Deutschlands,
Martin Hellwig, Werner Hildenbrand und Reinhard Selten, alle an einer Fakultät, es
gab ein (noch recht rudimentäres) Doktorandenprogramm, das die besten Dokto-
randen Deutschlands anzog, und es herrschte ein ganz anderes Forschungsklima. Im
Rahmen des Doktorandenprogramms ging ich im folgenden Jahr an die London
School of Economics, wo ich weiter meine Wissenslücken stopfte und vielfältige
Bekanntschaften über das große Commonwealth hinweg knüpfte. Gegen Ende der
Zeit in London erreichte mich die Anfrage von Martin Hellwig, ob ich zu ihm an
seine neue Wirkungsstätte in Basel kommen wolle. Obwohl Basel auf der wirt-
schaftswissenschaftlichen Landkarte bisher ein weißer Fleck war, zögerte ich nicht.
Hellwigs einzigartige Kombination von profunden mathematischen Fähigkeiten,
präziser ökonomischer Intuition und genuinem wirtschaftspolitischen Engagement
hatten mich schon in Bonn fasziniert und haben mich bis heute geprägt.
Gegeben Hellwigs und meine Interessen war es klar, dass meine Dissertation
von der großen Frage handeln würde nach dem Funktionieren von Finanzmärkten,
wenn Preise nicht alles koordinieren können. In den 1980er Jahren war es weithin
klar geworden, dass das klassische Walrasianische Modell gleichgewichtiger Märkte
für die Erklärung von Kapitalmärkten zumindest erweiterungsbedürftig war. Für
diese Neuausrichtung gab es verschiedene Ansätze, und Hellwig, als einer der
führenden angewandten Spieltheoretiker, rückte die Fragen strategischer Interaktion
und asymmetrischer Information in den Blickpunkt des Interesses. Nach manchem
Suchen und Zaudern fand auch ich meine Forschungsfragen, die sich vor allem um
das Funktionieren und die Stabilität von Banken drehten. Meine Doktorarbeit war
rein theoretisch, und so ist meine Arbeit seither mit wenigen Ausnahmen auch
geblieben. Zu methodisch guter empirischer Arbeit fehlt mir einerseits das Rüstzeug
(Bonn ist bis heute die Hochburg der deutschen Wirtschaftstheorie) als auch der
wirkliche Antrieb — das sokratische „Tl JtOT 'eOTIV“ hat etwas Abstraktes, Theoreti-
sches.
Nach der Promotion blieb ich zunächst, der deutschen Tradition folgend, für
eine Assistenzzeit in Basel. So entwickelte sich eine lange Verbundenheit zur
Schweiz, die ich an jenem Herbsttag 1988, als ich zum ersten Mal aus dem Basler
Bahnhof SBB trat, nie geahnt hätte und die das Land durch glückliche Zufälle zu
meiner zweiten Heimat gemacht hat. Der wichtigste dieser Zufälle war, dass ich in
Basel meine spätere Frau kennenlernte, die seither mit mir durch dick und dünn
gegangen ist und später auch vor dem Abenteuer Deutschland nicht zurückschreck-
te. Und so lebe ich auch seit einiger Zeit mit vier Bretzwilern zusammen, die gleich-
wohl selbst noch nie in diesem Dorf im Kanton Baselland waren - die Absonder-
lichkeit des schweizerischen Bürgerrechts will es, dass meine Kinder die Heimat-
bürgerschaft der Vorfahren meiner Frau haben.
Von Basel ging es dann für ein Jahr als Assistenzprofessor an die Universität
Stanford in Kalifornien. Hier kam ich wieder in eine neue Welt. Eine große Grup-
pe ausgewählter, ehrgeiziger und verschworener Doktoranden, Assistenzprofessoren,
die rund um die Uhr arbeiteten, in hartem Wettbewerb um die begehrte „Tenure“
und dennoch wissenschaftlich kooperierend, und volle Professoren, die in ihrem
 
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