Martin Hengel
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Respekt vor R. Bultmann und konnte seinen Beitrag zur neutestamentlichen Wis-
senschaft auch positiv würdigen. Eine grundsätzliche Kritik an ihm und seinen
Schülern aber hielt er aufrecht, dass sie mit dem Pathos historischer Kritik einen im
Grunde unhistorischen Umgang mit antiken Quellen in der Theologie verbreitet
hatten.
So wurde ein tief von pietistischer Frömmigkeit geprägter Gelehrter zu einem
Missionar der historischen Methode, der seine Schüler und Kollegen immer wieder
zum Erlernen der alten Sprachen aufforderte, zum Studium der antiken Quellen, zu
einer Methodik, die einer den Quellen nahe stehenden Interpretation den Vorrang
vor kühnen modernen Thesen gab. Da seine Arbeiten in einer klaren unprätentiösen
Sprache geschrieben und für einen historisch Interessierten spannend zu lesen sind,
hat er viele Kollegen, die nie seine direkten Schüler waren, stark beeinflusst. Zur
Sicherung von historischer und philologischer Kompetenz gründete er eine
Melanchthon-Stiftung, um das Erlernen der alten Sprachen und das Studium der
Texte in ihren Ursprachen zu fördern. Die Namengebung zeigt, dass er eine alte pro-
testantisch-humanistische Tradition erneuern und bei Schülern und Kollegen leben-
dig erhalten wollte. Er verlangte sehr viel von ihnen. Erst im Alter kam er zu der mil-
deren Ansicht, dass nicht alle Exegeten seine vielen Begabungen und seine Wissens-
breite haben müssen. Die Charismen dürfen auf viele verteilt sein. Er gilt mit Recht
als der bedeutendste deutschsprachige Neutestamentler seiner Generation. Interna-
tional war er bekannter als in seiner Heimat, seitdem sein opus magnum „Judentum
und Hellenismus“ ins Englische übersetzt und John Bowden 1975 für seine Über-
setzung mit dem Schlegel-Tieck Preis ausgezeichnet worden war.
Hengeis viele Studien und Untersuchungen kreisten immer wieder um den
historischen Jesus. Der war für ihn eine messianische Gestalt, die man nur im Rah-
men der messianischen Erwartungen seines Volkes verstehen kann. In seinen wissen-
schaftlichen Schriften trat Jesus aus dem Nebel historischer Skepsis heraus. Hengel
weigerte sich, ihn zu modernisieren. Seine erste Arbeit zu Jesus handelte von dem
sperrigen Wort: „Folge mir nach und lass die Toten ihre Toten begraben!“ (Mt 8,22)
Von einem Schüler verabschiedete er sich vor seinem Tod mit dem Bibelwort: „Herr,
nun lässt Du Deinen Diener in Frieden fahren. Denn meine Augen haben dein Heil
gesehen!“ (Lk 2,29-39). In der Tat strahlte er durch seine nüchterne und ungemein
gelehrte Arbeit die Gewissheit aus, sich mit den für Tod und Leben wichtigsten
Texten befassen zu dürfen.
GERD THEIßEN
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Respekt vor R. Bultmann und konnte seinen Beitrag zur neutestamentlichen Wis-
senschaft auch positiv würdigen. Eine grundsätzliche Kritik an ihm und seinen
Schülern aber hielt er aufrecht, dass sie mit dem Pathos historischer Kritik einen im
Grunde unhistorischen Umgang mit antiken Quellen in der Theologie verbreitet
hatten.
So wurde ein tief von pietistischer Frömmigkeit geprägter Gelehrter zu einem
Missionar der historischen Methode, der seine Schüler und Kollegen immer wieder
zum Erlernen der alten Sprachen aufforderte, zum Studium der antiken Quellen, zu
einer Methodik, die einer den Quellen nahe stehenden Interpretation den Vorrang
vor kühnen modernen Thesen gab. Da seine Arbeiten in einer klaren unprätentiösen
Sprache geschrieben und für einen historisch Interessierten spannend zu lesen sind,
hat er viele Kollegen, die nie seine direkten Schüler waren, stark beeinflusst. Zur
Sicherung von historischer und philologischer Kompetenz gründete er eine
Melanchthon-Stiftung, um das Erlernen der alten Sprachen und das Studium der
Texte in ihren Ursprachen zu fördern. Die Namengebung zeigt, dass er eine alte pro-
testantisch-humanistische Tradition erneuern und bei Schülern und Kollegen leben-
dig erhalten wollte. Er verlangte sehr viel von ihnen. Erst im Alter kam er zu der mil-
deren Ansicht, dass nicht alle Exegeten seine vielen Begabungen und seine Wissens-
breite haben müssen. Die Charismen dürfen auf viele verteilt sein. Er gilt mit Recht
als der bedeutendste deutschsprachige Neutestamentler seiner Generation. Interna-
tional war er bekannter als in seiner Heimat, seitdem sein opus magnum „Judentum
und Hellenismus“ ins Englische übersetzt und John Bowden 1975 für seine Über-
setzung mit dem Schlegel-Tieck Preis ausgezeichnet worden war.
Hengeis viele Studien und Untersuchungen kreisten immer wieder um den
historischen Jesus. Der war für ihn eine messianische Gestalt, die man nur im Rah-
men der messianischen Erwartungen seines Volkes verstehen kann. In seinen wissen-
schaftlichen Schriften trat Jesus aus dem Nebel historischer Skepsis heraus. Hengel
weigerte sich, ihn zu modernisieren. Seine erste Arbeit zu Jesus handelte von dem
sperrigen Wort: „Folge mir nach und lass die Toten ihre Toten begraben!“ (Mt 8,22)
Von einem Schüler verabschiedete er sich vor seinem Tod mit dem Bibelwort: „Herr,
nun lässt Du Deinen Diener in Frieden fahren. Denn meine Augen haben dein Heil
gesehen!“ (Lk 2,29-39). In der Tat strahlte er durch seine nüchterne und ungemein
gelehrte Arbeit die Gewissheit aus, sich mit den für Tod und Leben wichtigsten
Texten befassen zu dürfen.
GERD THEIßEN