202 | TÄTIGKEITSBERICHTE
der „freundlichen Nachricht, dass wegen gesternabendigem unmässiglicher Weisse
zu uns genommenen Wein, die cristliche Nachtruhe durch mancherley so seltsam-
lich als verdrüssliche Abenteuer genecket und gestört worden“. Selbst bei nüchter-
ner semantischer Betrachtung begegnet im Goetheschen Gebrauch mancher Verben
durchaus Überraschendes: So verwendet er noch im ‘Divan’ das Wort ‘nähren’ auch
in seiner ursprünglichen Bedeutung ‘pflegen, kurieren, wohltun’, und das heute nur
noch neckisch-nette ‘necken’ erscheint sogar recht häufig in der alten, grimmigeren
Bedeutung ‘quälen, plagen, peinigen, schikanieren’, oder auch, wie im vorangegan-
genen Zitat mit Bezug auf die ‘christliche Nachtruhe’, im Sinne von: einer Sache
Abbruch tun. Beim reich belegten Verb ‘nennen’ spannt sich semantisch der Bogen
vom ontologischen Stolz erster Namensgebung (wie in 1. Mose 2,19/20) über die
moderne Sprachskepsis — greifbar in der Reflexion auf das Unvermögen zu unver-
kürzter Artikulation bzw. Verbalisierung des damit diffus bleibenden Reichtums
eigener Innerlichkeit und Emotionalität — bis hin zur schlichten Denunziation
politisch Andersdenkender. Daß ‘Nahrung’ Ende des 18. Jahrhunderts noch ganz
selbstverständlich auch sowohl ‘Gewerbe’ wie ‘Vermögen’ bedeuten konnte, dürfte
den wenigsten heutigen Lesern präsent sein, die daher auch nicht wissen können,
daß sich hinter der ‘Nahrungssteuer’ die Gewerbesteuer verbirgt. Die ‘Nation’ als —
in moderner Auffassung — Staatsbürgergemeinschaft ist Goethe noch kaum geläu-
fig, dafür aber die seinerzeitige umgangssprachliche Verwendung im Sinne von
Menschenklasse, Menschenschlag,Verein. Aufwendige Recherchen erforderten z.T.
die zahlreichen Komposita zu ‘Nation’, auch wegen ihres Bezugs zur Zeitge-
schichte. — ‘Neid’ übrigens scheint Goethe nur zu kennen in Bezug auf gesunde
Zähne!
Zur Sitzung der Interakademischen Kommission für das Goethe-Wörterbuch,
Ende Februar in Heidelberg, legte R. Welter, wie auf der vorangegangenen Sitzung
angekündigt und gemäß dem Auftrag der Kommission, eine komplette Neufassung
des Regelwerks für die Arbeit am Goethe-Wörterbuch vor, die Ende November auf
der (im wesentlichen diesem Thema gewidmeten) Mitarbeiterkonferenz in Hamburg
in endgültiger Form verabschiedet wurde. Dazu aktualisierte Herr Machheit die
Gesamtwort- und Supplementlisten. Frau Eicheldinger betreute in bewährterWeise
unsere Bibliotheksergänzung und die Anfragen von außerhalb.
Anlaß zur Freude war eine großzügige Schenkung von Goethe-Ausgaben und
— Literatur aus dem Nachlaß von Frau Dorothea Hölscher-Lohmeyer (München
und Heidelberg), uns zugedacht und überbracht von Annette und Ernst August
Schmidt (Tübingen). Sehr erfreulich war auch ein zwangloser Besuch des neuen Prä-
sidenten der Heidelberger Akademie am 16. Juli, bei dem sich Professor Hahn
umfassend über das Unternehmen und die Tübinger Arbeitsstelle ins Bild setzen ließ.
Auf absehbare Zeit ist das Tübinger Team vervollständigt, seit am 2. Mai Frau
Beatrice Frank zu uns gestoßen ist; für eine Übergangszeit arbeitete sie noch halb-
tags beim (inzwischen abgeschlossenen) Luther-Register, seit dem 2. November
vollzeit bei uns, als endgültige Ablösung von Frau Stefaniya Ptashnyk, die verabre-
dungsgemäß zurück zum Deutschen Rechtswörterbuch nach Heidelberg gewech-
selt ist. Frau Ptashnyk war weiterhin involviert in Herrn Speers Sondierungen hin-
der „freundlichen Nachricht, dass wegen gesternabendigem unmässiglicher Weisse
zu uns genommenen Wein, die cristliche Nachtruhe durch mancherley so seltsam-
lich als verdrüssliche Abenteuer genecket und gestört worden“. Selbst bei nüchter-
ner semantischer Betrachtung begegnet im Goetheschen Gebrauch mancher Verben
durchaus Überraschendes: So verwendet er noch im ‘Divan’ das Wort ‘nähren’ auch
in seiner ursprünglichen Bedeutung ‘pflegen, kurieren, wohltun’, und das heute nur
noch neckisch-nette ‘necken’ erscheint sogar recht häufig in der alten, grimmigeren
Bedeutung ‘quälen, plagen, peinigen, schikanieren’, oder auch, wie im vorangegan-
genen Zitat mit Bezug auf die ‘christliche Nachtruhe’, im Sinne von: einer Sache
Abbruch tun. Beim reich belegten Verb ‘nennen’ spannt sich semantisch der Bogen
vom ontologischen Stolz erster Namensgebung (wie in 1. Mose 2,19/20) über die
moderne Sprachskepsis — greifbar in der Reflexion auf das Unvermögen zu unver-
kürzter Artikulation bzw. Verbalisierung des damit diffus bleibenden Reichtums
eigener Innerlichkeit und Emotionalität — bis hin zur schlichten Denunziation
politisch Andersdenkender. Daß ‘Nahrung’ Ende des 18. Jahrhunderts noch ganz
selbstverständlich auch sowohl ‘Gewerbe’ wie ‘Vermögen’ bedeuten konnte, dürfte
den wenigsten heutigen Lesern präsent sein, die daher auch nicht wissen können,
daß sich hinter der ‘Nahrungssteuer’ die Gewerbesteuer verbirgt. Die ‘Nation’ als —
in moderner Auffassung — Staatsbürgergemeinschaft ist Goethe noch kaum geläu-
fig, dafür aber die seinerzeitige umgangssprachliche Verwendung im Sinne von
Menschenklasse, Menschenschlag,Verein. Aufwendige Recherchen erforderten z.T.
die zahlreichen Komposita zu ‘Nation’, auch wegen ihres Bezugs zur Zeitge-
schichte. — ‘Neid’ übrigens scheint Goethe nur zu kennen in Bezug auf gesunde
Zähne!
Zur Sitzung der Interakademischen Kommission für das Goethe-Wörterbuch,
Ende Februar in Heidelberg, legte R. Welter, wie auf der vorangegangenen Sitzung
angekündigt und gemäß dem Auftrag der Kommission, eine komplette Neufassung
des Regelwerks für die Arbeit am Goethe-Wörterbuch vor, die Ende November auf
der (im wesentlichen diesem Thema gewidmeten) Mitarbeiterkonferenz in Hamburg
in endgültiger Form verabschiedet wurde. Dazu aktualisierte Herr Machheit die
Gesamtwort- und Supplementlisten. Frau Eicheldinger betreute in bewährterWeise
unsere Bibliotheksergänzung und die Anfragen von außerhalb.
Anlaß zur Freude war eine großzügige Schenkung von Goethe-Ausgaben und
— Literatur aus dem Nachlaß von Frau Dorothea Hölscher-Lohmeyer (München
und Heidelberg), uns zugedacht und überbracht von Annette und Ernst August
Schmidt (Tübingen). Sehr erfreulich war auch ein zwangloser Besuch des neuen Prä-
sidenten der Heidelberger Akademie am 16. Juli, bei dem sich Professor Hahn
umfassend über das Unternehmen und die Tübinger Arbeitsstelle ins Bild setzen ließ.
Auf absehbare Zeit ist das Tübinger Team vervollständigt, seit am 2. Mai Frau
Beatrice Frank zu uns gestoßen ist; für eine Übergangszeit arbeitete sie noch halb-
tags beim (inzwischen abgeschlossenen) Luther-Register, seit dem 2. November
vollzeit bei uns, als endgültige Ablösung von Frau Stefaniya Ptashnyk, die verabre-
dungsgemäß zurück zum Deutschen Rechtswörterbuch nach Heidelberg gewech-
selt ist. Frau Ptashnyk war weiterhin involviert in Herrn Speers Sondierungen hin-