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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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A. Die Preisträger
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Walter-Witzenmann-Preis
DOI Kapitel:
Herzberg, Stephan: Wahrnehmung und Wissen bei Aristoteles
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0257
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Die Preisträger | 273

Anima und den Parva Naturalia herausgearbeitet, wie der Gehalt der Wahrnehmung
und ihr epistemologischer Status zu bestimmen sind und in welchem Verhältnis die
Wahrnehmung zum Intellekt steht. Auf dieser Grundlage werden dann Aristoteles’
Aussagen zum Wissenserwerb (An. Post. II 19; Met. I 1) untersucht. Es zeigt sich, daß
von einem Empirismus im starken Sinn, in dem die Wahrnehmung das letzte, nicht
mehr rechtfertigungsbedürftige Fundament allen Wissens bildet, nicht gesprochen
werden kann: Die Wahrnehmung besitzt keinen propositionalen Gehalt, sie ist viel-
mehr auf die idia und koina aistheta beschränkt; außerdem unterliegt sie der Beurtei-
lung bzw. Korrektur durch ein übergeordnetes Vermögen. Die auf der Wahrnehmung
basierende Induktion ist eher eine Hinführung im Sinne eines Hilfsmittels, um in
den kognitiven Zustand der Prinzipienkenntnis zu kommen, nicht aber ein Legiti-
mationsgrund dafür, eine bestimmte Überzeugung als ,Wissen’ deklarieren zu dür-
fen. Schließlich bilden die unterste Ebene im Raum des Denkens, Urteilens und
Begründens Wahrnehmungsmemwngen, die als solche schon eine Leistung des Intel-
lekts darstellen. Daraus folgt nun aber nicht, daß die Beziehung zwischen Wahrneh-
mung und Denken (im generischen Sinn von De an. III 3, 427bl5, b25) eine bloß
kausale wäre. Wie das Denken so ist auch schon das Wahrnehmen ein krinein, eine
unterscheidende Tätigkeit, die sich in einer rein sinnlich vermittelten Weise ihrer
selbst bewußt ist. Als solche gewährt uns schon die Wahrnehmung eine bestimmte
Art von Kenntnis (gnösis tis), von der aus dann durch die Beteiligung des Intellekts
komplexere Arten von Kenntnissen entstehen. Aristoteles reduziert die Wahrneh-
mung nicht auf einen rein sensorischen Informationslieferanten, sondern spricht ihr
einen genuinen Weltzugang zu, ohne dabei in einen Empirismus zu verfallen.

STEPHAN HERZBERG


(geb. 1978), Studium der Philosophie an der
Hochschule für Philosophie und an der Ludwig-
Maximilians-Universität, München, Studium der
Philosophie und Katholischen Theologie an der
Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt
a.M. und an der Philosophisch-Theologischen
Hochschule Sankt Georgen, Studium der Philoso-
phie, Griechischen Philologie und Katholischen
Theologie an der Eberhard Karls Universität,
Tübingen, dort 2004 Magister Artium in Philo-
sophie (1,0 mit Auszeichnung). 2008 Promotion
in Philosophie mit der Arbeit „ Wahrnehmung
und Wissen bei Aristoteles“ (summa cum laude),
für die Stephan Herzberg ausgezeichnet wurde.
2008 Visiting scholaran der University of Toronto.
Seit 2008 wissenschaftlicher Assistent am Lehr-
stuhl für philosophische Grundfragen der Theolo-
gie, Universität Tübingen.
 
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