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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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B. Das WIN-Kolleg
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3. Forschungsschwerpunkt "Der menschliche Lebenszyklus - biologische, gesellschaftliche, kulturelle Aspekte"
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0282
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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

kursen, doch wird zugleich ein Spielraum zur Aktualisierung, Rekombination, Varia-
tion und korrigierenden Kommentierung tradierter Vorstellungs- und Bewertungs-
muster eröffnet, wird das alte Wissen von den Lebensaltern in der topischen Verwer-
tung zum Erschließungsinstrument für neues Wissen. Die Überzeugungsabsichten
des Textes stützend, bieten Topoi in diesem Sinne die Möglichkeit, Neues an die
Fülle des bekannten und allgemein akzeptierten Wissens über die Lebensalter anzu-
binden, so dass sich innerhalb der Tradition kontinuierlich neue Denkräume zur
Interpretation des menschlichen Alters und Alterns eröffnen.
Ein rhetorisch ausgerichtetes Topikmodell nach Schmidt-Biggemann und
Bornscheuer, mit dem sich das innovative argumentative Potential der Topik jenseits
der reinen Motivwiederholung erfassen lässt, erschien dabei als geeignete Grundla-
ge. Der Tagungsband mit Beiträgen von der Zeit des Alten Testaments bis ms 21 .Jahr-
hundert ist im Dezember 2009 unter dem Titel „Alterstopoi. Das Wissen von den
Lebensaltern in Literatur, Kunst und Theologie“ im deGruyter-Verlag (Berlin/New
York) erschienen.
Neben dieser Veröffentlichung galt die Projektarbeit Konzeption, Organisation
und Durchführung der internationalen Tagung „Alterszäsuren. Zeit und Lebensal-
ter“, die vom 23. bis 25. September 2009 in der Heidelberger Akademie stattfand
und an der die Kollegialen auch mit eigenen Vorträgen teilnahmen. Nach der
bewusst aus einem breiteren interdisziplinären Umfeld schöpfenden Alterstopoi-
Tagung konzentrierte sich die Alterszäsuren-Tagung auf die im Projekt vertretenen
textwissenschaftlichen Disziplinen. Das Thema der Alterszäsuren brachte neben der
Frage nach der Ab- und Begrenzung von Lebensaltern auch den Aspekt der Refle-
xion über die objektiv vergehende lineare Zeit und die subjektiv empfundene
Lebenszeit zur Diskussion, daher behandelten eine Reihe von Tagungsbeiträgen den
Aspekt der Zeitdarstellung und -reflexion.
Es wurde gefragt, wie in historischen Entwürfen seit alttestamentlicher Zeit das
Leben vermessen und eingeteilt wird und welches Sinnbildungspotential eine solche
Strukturierung des menschlichen Lebenslaufs in linear aufeinander folgende Zeit-
segmente besitzt. Die meist über genaue Altersangaben gebildeten Zäsuren markie-
ren Einschnitte und Übergänge zwischen den einzelnen Lebensaltern und tragen
durch die Auszeichnung undVerbalisierung wichtiger Wendepunkte zur Sinnsetzung
im kontinuierlichen Ablauf der Lebensalter bei. So kann zum Beispiel ein Hebdo-
madenmodell, das die Zahl 7 als Einheit bevorzugt, dazu führen, dass das 14. Lebens-
jahr als Beginn der Pubertät und somit eines neuen Lebensabschnittes angesehen
oder das 49. Lebensjahr als ein kritisches Alter empfunden wird. Das auf den Jahres-
zeiten aufbauende Modell derVierteilung bringt dagegen eine relationale Einteilung
hervor, die eher auf die Stabilität zyklischer Wiederkehr verweist und die Endlich-
keit des persönlichen Lebenswegs durch ein kosmologisch orientiertes Kreislaufmo-
dell entschärft. Und ebenso hat die Unterteilung eines idealen hundertjährigen
Lebens nach Jahrzehnten ein sinnstiftendes Potential, indem sie dem menschlichen
Lebensverlauf eine stabile Linearität unterlegt, die einerseits die Lebensmitte um das
fünfzigste Jahr privilegiert und andererseits die kritischen Jahre in der Gleichför-
migkeit der Dekaden überspielt.
 
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