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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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B. Das WIN-Kolleg
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3. Forschungsschwerpunkt "Der menschliche Lebenszyklus - biologische, gesellschaftliche, kulturelle Aspekte"
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0284
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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

das der alte Mensch mit seinen Lebens- und Gotteserfahrungen nicht nur in die
gegenwärtige menschliche Gemeinschaft, sondern auch in generationenübergreifen-
de Zusammenhänge eingebunden wird, so dass die individuelle Lebenszeit in einer
überindividuellen Zeitperspektive wahrgenommen wird.
Unter dem Titel „Die Entgrenzung des Alters: Zur Kaiserpanegyrik in der
Dichtung des Martial und Statius“ betrachtete der Beitrag von Dorothee Elm (Frei-
burg) die literarische Inszenierung der Alterslosigkeit einer sakralisierten Person in
ihrer Verknüpfung mit übergeordneten Zeitvorstellungen. In der Interpretation des
mit der politischen Pragmatik verknüpften Herrscherlobs ging es zunächst um die
Frage, mit welchen poetischen Mitteln der Topos von der Sakralität des Herrschers
dargestellt und wie eine Entgrenzung seiner endlichen individuellen Lebenszeit und
somit die Aufhebung von Alterszäsuren literarisch umgesetzt werden kann. Die Art,
in der der epigrammatische Kaiser selbst wiederum durch aufwändig als mythologi-
sche Erzählungen inszenierte Hinrichtungen die letzte Zäsur, den Tod, setzt, unter-
streicht die Überlegenheit der Gegenwart seiner Herrschaft über vergangene Zeiten.
Der Vortrag zeigte zuletzt, wie schließlich der reale Tod des endlichen Kaisers eine
Zäsur in der literarischen Inszenierung des Sprecher-Ichs Martial bildet, die inner-
halb seines epigrammatischen Corpus zu Zurück- und Vorausschau einlädt (Epigr.
10. Buch).
Um das auf narrative Entwürfe konzentrierte mediävistische Teilprojekt in ein
komplexeres generisches Schema literarischer Alterskonzeptionen einzubetten,
wurde die Alterszäsuren-Tagung dazu genutzt, die lyrischen Gattungen, vor allem
Minnesang und Sangspruch, zu analysieren. Unter dem Vortragstitel „für singen hüst
ich durch die kel. Memento mori in den Liedern Oswalds von Wolkenstein“ zeigte
Sandra Linden (Tübingen) am Beispiel der Lieder 5 und 6, wie in der Inszenierung
des körperlich beeinträchtigten Sangs die Kunst in den menschlichen Alterungspro-
zess einbezogen wird. In beiden Liedern sieht sich das Ich an einem bestimmten,
durch die Angst vor dem Tod geprägten Zeitpunkt zu einer Rückschau auf den ver-
gangenen Lebensweg veranlasst. In enger Verquickung von authentisch-biographi-
schem und inszeniertem Sprechen löst der nahe Tod ein Nachdenken über das ver-
gangene Leben aus und lässt das Ich seine Sündenschuld bilanzieren - allerdings in
der ungewöhnlichen ironischen Volte, dass die Konsequenz einer geistlichen conver-
sio ausbleibt. Dieser Moment der Reflexion, in dem sich der Blick auf die vergan-
gene und die verbleibende Zeit zu einer Totalität des Lebens verschränkt, wird zu
einer wichtigen Zäsur, die durch die Inkongruenz von konventionellem Lebens-
alterschema und subjektiver Zeitwahrnehmung geprägt ist. Der Umschlagpunkt,
an dem das sorglose Dahinschreiten auf der Lebenslinie in Sündenverzweiflung
umschlägt, ist dabei bereits in der vormodernen Literatur über ein stark personal
ausgestaltetes Ich umgesetzt. Es handelt sich um eine Zäsur, die in den normativen
Lebensaltermodellen nicht markiert, vielmehr an individuelles Erleben gebunden ist.
Mit der Narrativierung der Alterserfahrung vor allem des mittleren Alters
befasste sich Thorsten Fitzon (Freiburg) in seinem Vortrag zu Arthur Schnitzlers
Erzählung Frau Beate und ihr Sohn von 1913. Schnitzler radikalisiert die Aporien der
weiblichen Alternserfahrung, in dem er die Krise der Lebensmitte aus dem Fokus der
 
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