328 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich der Frage nach dem gesamtgesellschaftli-
chen Erfolg der Frauenbewegung. Im anschließenden Vortrag stellte Jan Henschen
(Erfurt) den Schelmenroman „Die Glücklichen“ von Peter Paul Zahl vor, welcher
1977 im Rotbuchverlag erschienen war. Zahl, der den Roman im Gefängnis verfas-
ste, blickte in seinem Roman von außen auf den Berliner Kiez. Henschen führte aus,
dass Zahl einerseits die „Ausdifferenzierungen“ des Milieus aufzeigte, andererseits
die Gewaltfrage verhandelte, die zur Gretchenfrage für die Milieuangehörigen
wurde. Zahl, so wurde in der Diskussion mehrfach betont, habe mit „Die Glück-
lichen“ einen Ursprungsmythos inszeniert, er habe versucht, die Geschichte für sich
und seine Generation verfügbar zu machen. Der folgende Vortrag von Dr. Clemens
Rehm (Stuttgart) vom Landesarchiv Baden-Württemberg begann mit der Feststel-
lung, eigentlich gar nicht „hierhin“ zu gehören. Rehm nutzte die Konferenz, um für
eine bessere Zusammenarbeit von Zeitgeschichte und Archiv zu werben. Nur so
könne garantiert werden, dass auch das aufbewahrt werde, was für die Forschung von
Interesse sei. Schließlich vernichteten die Archive 95-99 Prozent eines Bestandes,
folglich steuerten sie das Vergessen. Somit könne ein intensiverer Dialog zwischen
Wissenschaft und Archiven für die Erforschung der 1970er Jahre nur von Vorteil für
beide Parteien sein. Dies gelte vor allem, da die historische Beschäftigung mit den
1970er Jahren nun zu einem Zeitpunkt beginne, in der die Archivierung der Quell-
bestände noch nicht abgeschlossen sei. Hier seien die Archive auch auf die Forschung
angewiesen, um zielgerichtete Bestände zu etablieren.
Das zweite Panel zur „Inszenierung des/der Milieus“ begann mit einem
Vortrag von Andrea Hajek (Warwick). Hajek thematisierte die wirtschaftlichen, poli-
tischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen, die zur Erklärung der Transforma-
tionen im linksalternativen Milieu im Italien der 1970er Jahre herangezogen werden
können. Zu diesen zählte sie unter anderem die zahlreichen terroristischen Anschlä-
ge, die Italien seit den späten 1960er Jahren erschüttert hatten. Sie hätten den deut-
lichen Wandel im Verhältnis zahlreicher Linksalternativer zur Gewalt bewirkt, zumal
neofaschistische Organisationen als Urheber des Terrors gegolten hätten und zahl-
reiche Anhänger der alternativen Linken von der Verwicklung des Geheimdienstes
überzeugt gewesen waren. Ferner führte Hajek die politische Leere an, die in den
1970er-Jahren viele Anhänger der alternativen Linken erfasst habe. Die indirekte
Unterstützung der Mitte-Rechts-Regierung der italienischen Christdemokraten
durch die Kommunistische Partei Italiens nach den Parlamentswahlen von 1973
(Historischer Kompromiss) sei von vielen Mitgliedern der Linken als Verrat wahr-
genommen worden. In der anschließenden Diskussion wies Graf Kielmansegg auf
die anarchistischen Traditionen in Italien hin. Damit rief er den Einwand von Dr.
Pekelder (Utrecht) hervor, dass die Roten Brigaden sich nicht in der Tradition der
Anarchisten, sondern der Resistenza gesehen hätten. Beate Schappach (Bern) setzte
sich mit den Symbolen der Frauen-, Lesben- und Schwulenbewegung auseinander
und arbeitete die nach innen identitätsstiftenden und nach außen differenzierend
wirkenden Symbole heraus. Überdies betonte sie, dass die Sinnoffenheit die ent-
scheidende Ressource der Symbole, also der Prozess der immer neuen Interpreta-
tion von Symbolen nie abgeschlossen sei. Schappachs Vortrag verdeutlichte die
unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich der Frage nach dem gesamtgesellschaftli-
chen Erfolg der Frauenbewegung. Im anschließenden Vortrag stellte Jan Henschen
(Erfurt) den Schelmenroman „Die Glücklichen“ von Peter Paul Zahl vor, welcher
1977 im Rotbuchverlag erschienen war. Zahl, der den Roman im Gefängnis verfas-
ste, blickte in seinem Roman von außen auf den Berliner Kiez. Henschen führte aus,
dass Zahl einerseits die „Ausdifferenzierungen“ des Milieus aufzeigte, andererseits
die Gewaltfrage verhandelte, die zur Gretchenfrage für die Milieuangehörigen
wurde. Zahl, so wurde in der Diskussion mehrfach betont, habe mit „Die Glück-
lichen“ einen Ursprungsmythos inszeniert, er habe versucht, die Geschichte für sich
und seine Generation verfügbar zu machen. Der folgende Vortrag von Dr. Clemens
Rehm (Stuttgart) vom Landesarchiv Baden-Württemberg begann mit der Feststel-
lung, eigentlich gar nicht „hierhin“ zu gehören. Rehm nutzte die Konferenz, um für
eine bessere Zusammenarbeit von Zeitgeschichte und Archiv zu werben. Nur so
könne garantiert werden, dass auch das aufbewahrt werde, was für die Forschung von
Interesse sei. Schließlich vernichteten die Archive 95-99 Prozent eines Bestandes,
folglich steuerten sie das Vergessen. Somit könne ein intensiverer Dialog zwischen
Wissenschaft und Archiven für die Erforschung der 1970er Jahre nur von Vorteil für
beide Parteien sein. Dies gelte vor allem, da die historische Beschäftigung mit den
1970er Jahren nun zu einem Zeitpunkt beginne, in der die Archivierung der Quell-
bestände noch nicht abgeschlossen sei. Hier seien die Archive auch auf die Forschung
angewiesen, um zielgerichtete Bestände zu etablieren.
Das zweite Panel zur „Inszenierung des/der Milieus“ begann mit einem
Vortrag von Andrea Hajek (Warwick). Hajek thematisierte die wirtschaftlichen, poli-
tischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen, die zur Erklärung der Transforma-
tionen im linksalternativen Milieu im Italien der 1970er Jahre herangezogen werden
können. Zu diesen zählte sie unter anderem die zahlreichen terroristischen Anschlä-
ge, die Italien seit den späten 1960er Jahren erschüttert hatten. Sie hätten den deut-
lichen Wandel im Verhältnis zahlreicher Linksalternativer zur Gewalt bewirkt, zumal
neofaschistische Organisationen als Urheber des Terrors gegolten hätten und zahl-
reiche Anhänger der alternativen Linken von der Verwicklung des Geheimdienstes
überzeugt gewesen waren. Ferner führte Hajek die politische Leere an, die in den
1970er-Jahren viele Anhänger der alternativen Linken erfasst habe. Die indirekte
Unterstützung der Mitte-Rechts-Regierung der italienischen Christdemokraten
durch die Kommunistische Partei Italiens nach den Parlamentswahlen von 1973
(Historischer Kompromiss) sei von vielen Mitgliedern der Linken als Verrat wahr-
genommen worden. In der anschließenden Diskussion wies Graf Kielmansegg auf
die anarchistischen Traditionen in Italien hin. Damit rief er den Einwand von Dr.
Pekelder (Utrecht) hervor, dass die Roten Brigaden sich nicht in der Tradition der
Anarchisten, sondern der Resistenza gesehen hätten. Beate Schappach (Bern) setzte
sich mit den Symbolen der Frauen-, Lesben- und Schwulenbewegung auseinander
und arbeitete die nach innen identitätsstiftenden und nach außen differenzierend
wirkenden Symbole heraus. Überdies betonte sie, dass die Sinnoffenheit die ent-
scheidende Ressource der Symbole, also der Prozess der immer neuen Interpreta-
tion von Symbolen nie abgeschlossen sei. Schappachs Vortrag verdeutlichte die