14. Mai 2009
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bautes Areal. Das Palais war plötzlich Pendant des ähnlich dimensionierten ehemali-
gen Sickingenschen Stadtpalais, des damaligen Palais Boisseree, auf der Nordseite des
Platzes. Die neue Situation hat der Maler Friedrich Rottmann in einem Aquarell fest-
gehalten, das 1815 anläßlich des Einzugs der russischen Truppen in Heidelberg ent-
standen ist11. Man sieht dort sehr schön die barocke vertikale Fassadengliederung
durch den Wechsel von glatten und rauhen Putzstreifen, außerdem die Schleppgaupen
im Dach. Ständiger Bewohner des Hauses war von 1815 bis 1830 der ehemalige badi-
sche Staatsminister Sigismund Freiherr von Reitzenstein (Abb. 2/14), der während
seines Aufenthalts in Heidelberg maßgeblich an der Neustrukturierung der Univer-
sität mitwirkte, bevor er 1830 erneut als Minister nach Karlsruhe berufen wurde.
Am Haus mußte auch während des 19. Jahrhunderts ständig repariert und
gewerkelt werden, vor allem immer dann, wenn badische Prinzen während ihres Stu-
diums in Heidelberg das Palais für längere Zeit als Quartier bezogen und die zwi-
schenzeitigen Mieter ausziehen mußten. Eine Maßnahme, die das äußere Erschei-
nungsbild des Baus entscheidend veränderte, war die vermutlich 1843 vorgenom-
mene klassizistische Umgestaltung der Platzfront durch Beseitigung der gezeigten
Putzgliederung und durch Anbringung von Fensterläden, wahrscheinlich in Anleh-
nung an das Palais Boisseree, das eine entsprechende Umgestaltung bereits 1826
erfahren hatte. Eine 1830 angefertigte Lithographie12 zeigt das Großherzogliche
Palais noch vor der Veränderung. Mit dieser äußerlichen Veränderung einher ging
auch eine erste umfassende, längst überfällige Generalsanierung des Inneren samt der
Nebengebäude.
1854 ging das Anwesen vom badischen Staat an die großherzogliche Zivilliste
über. Damals wurde im Erdgeschoß eine Hausmeisterwohnung eingerichtet.
Von 1860 bis 1895 nahmen Großherzog Friedrich I. und seine Frau Luise regel-
mäßig jedes Jahr im Mai für mehrere Wochen im Palais Quartier. Auch für diese
Gelegenheiten waren wiederholt Restaurierungsarbeiten in unterschiedlichem
Umfang durchzuführen, beispielsweise als 1874 die Decke in der Durchfahrt her-
untergebrochen war.
All dies hier im Einzelnen zu referieren, würde sicherlich zu weit führen. Eine
amüsante Episode soll aber doch Erwähnung finden. Es war oben bereits von den
leidigen Nachbarschaftsstreitereien die Rede. 1882 war ein Kamin auf dem Seiten-
gebäude des Palais in sehr schlechtem Zustand. Die Bedachung war zudem völlig
schadhaft. Dies berichtet der Nachbar Dr. Adam Eisenlohr in einem am 20. Juni 1882
— wie extra vermerkt ist — um 8 Uhr morgens eingereichten Beschwerdebrief. Uber
Eisenlohr, der das Nachbarhaus Karlstraße 2 im Jahr 1870 ersteigert hatte, war wenig
mehr in Erfahrung zu bringen, als daß er der Verfasser eines seltsamen Studenten-
trinklieds mit dem Titel „Der Zechstein“ ist13. In dem Beschwerdebrief bot Eisen-
11 Peter Anselm Riedl, Heidelbergs Altstadt, in: Heidelberg. Geschichte und Gestalt (wie Anm. 3),
S. 106-129, hier: S. 112 Abb. 8.
12 Vgl. Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Heidelberg 21986, S. 12 Abb. 4.
13 Schauenburgs Allgemeines Deutsches Kommersbuch, urspr. hg. ... von Friedrich Silcher und
Friedrich Erk, Lahr 55-58[um 1900], S. 663f. Nr. 741.
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bautes Areal. Das Palais war plötzlich Pendant des ähnlich dimensionierten ehemali-
gen Sickingenschen Stadtpalais, des damaligen Palais Boisseree, auf der Nordseite des
Platzes. Die neue Situation hat der Maler Friedrich Rottmann in einem Aquarell fest-
gehalten, das 1815 anläßlich des Einzugs der russischen Truppen in Heidelberg ent-
standen ist11. Man sieht dort sehr schön die barocke vertikale Fassadengliederung
durch den Wechsel von glatten und rauhen Putzstreifen, außerdem die Schleppgaupen
im Dach. Ständiger Bewohner des Hauses war von 1815 bis 1830 der ehemalige badi-
sche Staatsminister Sigismund Freiherr von Reitzenstein (Abb. 2/14), der während
seines Aufenthalts in Heidelberg maßgeblich an der Neustrukturierung der Univer-
sität mitwirkte, bevor er 1830 erneut als Minister nach Karlsruhe berufen wurde.
Am Haus mußte auch während des 19. Jahrhunderts ständig repariert und
gewerkelt werden, vor allem immer dann, wenn badische Prinzen während ihres Stu-
diums in Heidelberg das Palais für längere Zeit als Quartier bezogen und die zwi-
schenzeitigen Mieter ausziehen mußten. Eine Maßnahme, die das äußere Erschei-
nungsbild des Baus entscheidend veränderte, war die vermutlich 1843 vorgenom-
mene klassizistische Umgestaltung der Platzfront durch Beseitigung der gezeigten
Putzgliederung und durch Anbringung von Fensterläden, wahrscheinlich in Anleh-
nung an das Palais Boisseree, das eine entsprechende Umgestaltung bereits 1826
erfahren hatte. Eine 1830 angefertigte Lithographie12 zeigt das Großherzogliche
Palais noch vor der Veränderung. Mit dieser äußerlichen Veränderung einher ging
auch eine erste umfassende, längst überfällige Generalsanierung des Inneren samt der
Nebengebäude.
1854 ging das Anwesen vom badischen Staat an die großherzogliche Zivilliste
über. Damals wurde im Erdgeschoß eine Hausmeisterwohnung eingerichtet.
Von 1860 bis 1895 nahmen Großherzog Friedrich I. und seine Frau Luise regel-
mäßig jedes Jahr im Mai für mehrere Wochen im Palais Quartier. Auch für diese
Gelegenheiten waren wiederholt Restaurierungsarbeiten in unterschiedlichem
Umfang durchzuführen, beispielsweise als 1874 die Decke in der Durchfahrt her-
untergebrochen war.
All dies hier im Einzelnen zu referieren, würde sicherlich zu weit führen. Eine
amüsante Episode soll aber doch Erwähnung finden. Es war oben bereits von den
leidigen Nachbarschaftsstreitereien die Rede. 1882 war ein Kamin auf dem Seiten-
gebäude des Palais in sehr schlechtem Zustand. Die Bedachung war zudem völlig
schadhaft. Dies berichtet der Nachbar Dr. Adam Eisenlohr in einem am 20. Juni 1882
— wie extra vermerkt ist — um 8 Uhr morgens eingereichten Beschwerdebrief. Uber
Eisenlohr, der das Nachbarhaus Karlstraße 2 im Jahr 1870 ersteigert hatte, war wenig
mehr in Erfahrung zu bringen, als daß er der Verfasser eines seltsamen Studenten-
trinklieds mit dem Titel „Der Zechstein“ ist13. In dem Beschwerdebrief bot Eisen-
11 Peter Anselm Riedl, Heidelbergs Altstadt, in: Heidelberg. Geschichte und Gestalt (wie Anm. 3),
S. 106-129, hier: S. 112 Abb. 8.
12 Vgl. Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Heidelberg 21986, S. 12 Abb. 4.
13 Schauenburgs Allgemeines Deutsches Kommersbuch, urspr. hg. ... von Friedrich Silcher und
Friedrich Erk, Lahr 55-58[um 1900], S. 663f. Nr. 741.