13. und 14. November 2009
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Verstärkung von Synapsen wahrnimmt und lernt, legte Hannah Monyer (Heidel-
berg) dar. Die genaue Synchronisierung der Zellenkommunikation ist gerade im
Hinblick auf das Kurz- und Langzeitgedächtnis angesichts der Fülle der zu verarbei-
tenden Reize äußerst anspruchsvoll, und dabei spielen sogenannte GABAerge Zel-
len den Schrittmacher. Sie machen etwa 10—15% der Zellen aus und wirken mit
ihren bis zu 10000 Synapsen in doppeltem Sinn auf die Pyramidenzellen, die den
Großteil (ca. 90%) der Zellen stellen und mit ihren mehreren hundert Synapsen
durch Anregung miteinander kommunizieren: einerseits koordinierend und syn-
chronisierend als Taktgeber für die Pyramidenzellen, anderseits hemmend auf diese,
damit es nicht zu Zuständen der Übererregbarkeit kommt, wie dies etwa bei der
Epilepsie der Fall ist.
Die Psychologin Sabina Pauen (Heidelberg) erörterte, wie bei Kleinkindern
ein Zeitverständnis entsteht. Dieses ist vorerst nicht abstrakt, sondern an konkrete
Erinnerungen oder Bezüge zur Umwelt gebunden: nicht „übermorgen“ geschieht
etwas, sondern das Kind muss bis dahin „noch zweimal schlafen“. Erst im Grund-
schulalter beginne die Übernahme der — kulturell geprägten und insofern auch
unterschiedlichen — abstrakten Zeit. Bei älteren Menschen hob der Gerontologe
Andreas Kruse (Heidelberg) drei Aspekte hervor: den Lebensrückblick auf wenige
Ereignisse mit hoher Bedeutsamkeit für die eigene Biographie; die zukunftsgerich-
tete Zeitperspektive, bei der antizipierte Grenzsituationen als „dunkle Punkte“ in das
Zentrum des Erlebens treten können, wenn keine Vorhaben, Pläne oder Absichten
mehr bestehen und die Bindung an das Leben deutlich zurückgegangen ist; und die
Möglichkeit, dass ältere Menschen starkes Engagement für nachfolgende Generatio-
nen zeigen und sich dabei von dem Motiv der Generativität leiten lassen. So kön-
nen sie ihre individuelle Lebenszeit in die Weltzeit (Blumenberg) integrieren und
mehr und mehr transzendieren.
Wie die Musik als „Dienerin“ der ordnenden Zeit - etwa des Metronoms —
unterworfen ist, aber auch als „Herrin“ Zeit strukturiert, war das Thema von Silke
Leopold (Heidelberg). Wagners Leitmotivik verweist etwa im „Ring der Nibelun-
gen“ auf unterschiedliche Zeitschichten, indem das Orchester durch Erinnerungs-
motive die aktuelle Bühnenhandlung mit früheren oder auch künftigen Ereignissen
verbindet. Wie man in der Musik Zeit dehnen oder komprimieren, Zeitebenen ver-
schieben und mit ihnen spielen kann, führte Leopold an Mozarts Oper „Cosi fan
tutte“ vor, an deren Ende die Zeit in einem sich ständig wiederholenden Kanon-
melodie still steht und die Protagonisten auf der Bühne plötzlich in die Abgründe
ihrer Seele blicken und dabei zerstörte Vergangenheit und perspektivelose Zukunft
in einer Gegenwart ohne Handlungsalternativen zusammenkommen. Literaturwis-
senschaftliche Verwendungsweisen des Zeitbegriffs erörterte Sandra Richter (Stutt-
gart) am Beispiel von Albrecht von Hallers philosophischem Gedicht „Ursprung des
Übels“. Sie zeigte zum einen, wie Hallers Text auf Zeit referiert, sie reflektiert und
die eigenen Referenzen und Reflexionen zugleich im Gang seiner Textgeschichte
(elf Auflagen von 1732/33 bis 1777) revidiert. Zum anderen plädierte Richter für
eine Sichtweise auf „Zeit“, die nicht polar (im Sinne der „Two Cultures“-These von
C.P. Snow) zwischen einer kulturellen und einer natürlichen Zeit unterscheidet, son-
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Verstärkung von Synapsen wahrnimmt und lernt, legte Hannah Monyer (Heidel-
berg) dar. Die genaue Synchronisierung der Zellenkommunikation ist gerade im
Hinblick auf das Kurz- und Langzeitgedächtnis angesichts der Fülle der zu verarbei-
tenden Reize äußerst anspruchsvoll, und dabei spielen sogenannte GABAerge Zel-
len den Schrittmacher. Sie machen etwa 10—15% der Zellen aus und wirken mit
ihren bis zu 10000 Synapsen in doppeltem Sinn auf die Pyramidenzellen, die den
Großteil (ca. 90%) der Zellen stellen und mit ihren mehreren hundert Synapsen
durch Anregung miteinander kommunizieren: einerseits koordinierend und syn-
chronisierend als Taktgeber für die Pyramidenzellen, anderseits hemmend auf diese,
damit es nicht zu Zuständen der Übererregbarkeit kommt, wie dies etwa bei der
Epilepsie der Fall ist.
Die Psychologin Sabina Pauen (Heidelberg) erörterte, wie bei Kleinkindern
ein Zeitverständnis entsteht. Dieses ist vorerst nicht abstrakt, sondern an konkrete
Erinnerungen oder Bezüge zur Umwelt gebunden: nicht „übermorgen“ geschieht
etwas, sondern das Kind muss bis dahin „noch zweimal schlafen“. Erst im Grund-
schulalter beginne die Übernahme der — kulturell geprägten und insofern auch
unterschiedlichen — abstrakten Zeit. Bei älteren Menschen hob der Gerontologe
Andreas Kruse (Heidelberg) drei Aspekte hervor: den Lebensrückblick auf wenige
Ereignisse mit hoher Bedeutsamkeit für die eigene Biographie; die zukunftsgerich-
tete Zeitperspektive, bei der antizipierte Grenzsituationen als „dunkle Punkte“ in das
Zentrum des Erlebens treten können, wenn keine Vorhaben, Pläne oder Absichten
mehr bestehen und die Bindung an das Leben deutlich zurückgegangen ist; und die
Möglichkeit, dass ältere Menschen starkes Engagement für nachfolgende Generatio-
nen zeigen und sich dabei von dem Motiv der Generativität leiten lassen. So kön-
nen sie ihre individuelle Lebenszeit in die Weltzeit (Blumenberg) integrieren und
mehr und mehr transzendieren.
Wie die Musik als „Dienerin“ der ordnenden Zeit - etwa des Metronoms —
unterworfen ist, aber auch als „Herrin“ Zeit strukturiert, war das Thema von Silke
Leopold (Heidelberg). Wagners Leitmotivik verweist etwa im „Ring der Nibelun-
gen“ auf unterschiedliche Zeitschichten, indem das Orchester durch Erinnerungs-
motive die aktuelle Bühnenhandlung mit früheren oder auch künftigen Ereignissen
verbindet. Wie man in der Musik Zeit dehnen oder komprimieren, Zeitebenen ver-
schieben und mit ihnen spielen kann, führte Leopold an Mozarts Oper „Cosi fan
tutte“ vor, an deren Ende die Zeit in einem sich ständig wiederholenden Kanon-
melodie still steht und die Protagonisten auf der Bühne plötzlich in die Abgründe
ihrer Seele blicken und dabei zerstörte Vergangenheit und perspektivelose Zukunft
in einer Gegenwart ohne Handlungsalternativen zusammenkommen. Literaturwis-
senschaftliche Verwendungsweisen des Zeitbegriffs erörterte Sandra Richter (Stutt-
gart) am Beispiel von Albrecht von Hallers philosophischem Gedicht „Ursprung des
Übels“. Sie zeigte zum einen, wie Hallers Text auf Zeit referiert, sie reflektiert und
die eigenen Referenzen und Reflexionen zugleich im Gang seiner Textgeschichte
(elf Auflagen von 1732/33 bis 1777) revidiert. Zum anderen plädierte Richter für
eine Sichtweise auf „Zeit“, die nicht polar (im Sinne der „Two Cultures“-These von
C.P. Snow) zwischen einer kulturellen und einer natürlichen Zeit unterscheidet, son-