Die Wirkmacht klösterlichen Lebens
Zusammenfassende Gedanken zum „monastic turn"
Stefan Weinfurtert
1. Die Kraft der Idee
Keine Epoche in der lateinisch-abendländischen Welt hat mit derartiger Wucht
und Intensität Umwälzungen im klösterlichen Lebensmodell hervorgebracht
wie das hohe Mittelalter. Es war wie eine gewaltige Woge, von der die Menschen
erfasst wurden. Nicht nur Mönche und Kleriker, sondern auch Laien - Arme
und Reiche, Männer und Frauen - wurden von der neuen Botschaft erfasst und
waren von den Gedanken fasziniert, die ihnen in Predigten vermittelt wurden.
Ganze Dörfer, so lesen wir bei Bernold von Konstanz zum Jahre 1092, hätten
sich auf den Weg gemacht, hätten ihre Häuser und ihr Hab und Gut verlassen,
um sich in den neuen religiösen Gemeinschaften zu organisieren und sich einem
gänzlich neuen Lebensentwurf zu öffnen.
Eine neue Botschaft? Sie war in Wirklichkeit sehr alt. Es war die Idee der
Erneuerung der Urkirche, der Christengemeinde also, die Jesus selbst so nahe
wie nur möglich war, die von seinen Schülern, den Aposteln, geleitet wurde und
daher als das authentische Original gelten musste. Sie erschien vielen Menschen
nunmehr als die Lebensweise, die allein zum Seelenheil führen konnte. Diese
Idee der vita apostohca sah die Gemeinschaft in Nächstenliebe und Frieden vor,
eine vita communis ohne Privateigentum und ohne Standesunterschiede - das
Ideal einer friedvollen religiös-kommunischen Lebensharmonie.
Die Kraft, die durch diese Idee freigesetzt wurde, kann man sich kaum stark
genug vorstellen. Sie wirkte auf das gesamte lateinisch-christliche Europa und
erzeugte einen höchst wirksamen Wertekonsens. Über Grenzen und Länder
hinweg sahen sich die Anhänger der neuen Bewegung als die Guten, die durch
eine geheiligte Idee ihrer Überlegenheit gegenüber den Verweigerern sicher sein
konnten. Diese Überzeugung trieb sie selbst zu immer größerer Perfektion in
der Gestaltung ihrer Lebensweise an und schuf damit unentwegt Optimie-
rungsimpulse. Dabei spielte von Beginn an die Selbstkontrolle eine große Rolle,
die der Bewegung in den Anfängen eine stark eremitische Note verlieh. Auch
das Armutsgebot, die Bescheidenheit und Selbstzucht bestimmten den Lebens-
alltag. Aber entscheidend war die Überzeugung, Sorge für den Nächsten über-
Zusammenfassende Gedanken zum „monastic turn"
Stefan Weinfurtert
1. Die Kraft der Idee
Keine Epoche in der lateinisch-abendländischen Welt hat mit derartiger Wucht
und Intensität Umwälzungen im klösterlichen Lebensmodell hervorgebracht
wie das hohe Mittelalter. Es war wie eine gewaltige Woge, von der die Menschen
erfasst wurden. Nicht nur Mönche und Kleriker, sondern auch Laien - Arme
und Reiche, Männer und Frauen - wurden von der neuen Botschaft erfasst und
waren von den Gedanken fasziniert, die ihnen in Predigten vermittelt wurden.
Ganze Dörfer, so lesen wir bei Bernold von Konstanz zum Jahre 1092, hätten
sich auf den Weg gemacht, hätten ihre Häuser und ihr Hab und Gut verlassen,
um sich in den neuen religiösen Gemeinschaften zu organisieren und sich einem
gänzlich neuen Lebensentwurf zu öffnen.
Eine neue Botschaft? Sie war in Wirklichkeit sehr alt. Es war die Idee der
Erneuerung der Urkirche, der Christengemeinde also, die Jesus selbst so nahe
wie nur möglich war, die von seinen Schülern, den Aposteln, geleitet wurde und
daher als das authentische Original gelten musste. Sie erschien vielen Menschen
nunmehr als die Lebensweise, die allein zum Seelenheil führen konnte. Diese
Idee der vita apostohca sah die Gemeinschaft in Nächstenliebe und Frieden vor,
eine vita communis ohne Privateigentum und ohne Standesunterschiede - das
Ideal einer friedvollen religiös-kommunischen Lebensharmonie.
Die Kraft, die durch diese Idee freigesetzt wurde, kann man sich kaum stark
genug vorstellen. Sie wirkte auf das gesamte lateinisch-christliche Europa und
erzeugte einen höchst wirksamen Wertekonsens. Über Grenzen und Länder
hinweg sahen sich die Anhänger der neuen Bewegung als die Guten, die durch
eine geheiligte Idee ihrer Überlegenheit gegenüber den Verweigerern sicher sein
konnten. Diese Überzeugung trieb sie selbst zu immer größerer Perfektion in
der Gestaltung ihrer Lebensweise an und schuf damit unentwegt Optimie-
rungsimpulse. Dabei spielte von Beginn an die Selbstkontrolle eine große Rolle,
die der Bewegung in den Anfängen eine stark eremitische Note verlieh. Auch
das Armutsgebot, die Bescheidenheit und Selbstzucht bestimmten den Lebens-
alltag. Aber entscheidend war die Überzeugung, Sorge für den Nächsten über-