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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 5): Divinatorische Texte: II. Opferschau-Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.32174#0017
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Divinatorische Texte II: Opferschau-Omina

Feind.“ 36 Auf diese Weise konnte beispielsweise eine in sich
negative Markierung auf der rechten Seite auf einen negativen
Ausgang für den Anfragenden verweisen, während dasselbe
negative Zeichen auf der linken Seite negative Folgen für den
Gegner des Anfragenden ankündigte und daher positiv für den
Anfragenden selbst war. 37 Die genaue Position eines Zeichens
war daher von immenser Wichtigkeit für die Deutung des
Befundes, und die altorientalischen Opferschauer entwickelten
hierfür bald eine differenzierte Terminologie. So wurde jeder
Teil der Leber sowie der Bereich links und rechts davon in drei
Teile (Basis, Mitte, Spitze) 38 unterteilt, und dies führte zu neun
jeweils verschieden bewerteten Bereichen bei jedem Leberteil. 39

Auf einem neubabylonischen Lebermodell ist die gesamte
Oberfläche mit Einteilungen überzogen und die Deutung von
Zeichen, die in diesen eingeteilten Bereichen erscheinen, ver-
merkt. 40 Solche Angaben, die nicht nur graphisch auf Modellen
dargestellt, sondem auch auf Tontafeln niedergeschrieben wur-
den, 41 zeigen, wie sehr die Auslegung eines Befundes von der
Lage und Ausrichtung der Zeichen bestimmt war.

Der Sinnbezug einer als positiv bzw. negativ festgestellten
Bedeutung ergab sich aus den Leberteilen und Markierungen
selbst, die bestimmten menschlichen Bereichen und Handlungen
zugeordnet waren, wie sich an ihren Bezeichnungen zeigt. So
verwies das „Palasttor“ auf den Palast und den Herrscher, der
„Pfad“ auf den Feldzug oder die Handelsreise, das
„Wohlbefinden“ auf die Gesundheit, eine „Keulen-Markierung“
auf Krieg, Revolte sowie Gewalt und eine (feuchte) Finnenblase
auf Regen. Daneben gab es aber bestimmte Befunde, die als so
bedeutend angesehen wurden, daß sie die ganze Deutung der
Opferschau beeinflußten. Hierzu gehörten insbesondere die
niphu undpitrustu genannten Befunde. 42 Einpitrustu ergab sich
zumeist aus dem Erscheinen eines Merkmals sowohl auf der lin-
ken als auch auf der rechten Seite eines Leber- oder Lungenteils.
Demgegenüber lassen sich die Besonderheiten des niphu in den
Texten nicht so einheitlich ablesen, so konnte etwa in einem
dreifach vorhandenen Leber- oder Lungenteil ein niphu-Zeichen
erkannt werden. Während ein pitrustu ein oft entscheidendes
Zeichen in einer nicht sehr klaren Opferschau war und verstär-
kend wirkte, konnte ein niphu-Zeichen das Ergebnis einer
Opferschau umkehren, also aus einem an sich positiven Ergebnis
ein negatives machen und umgekehrt. Die allgemeinen
Deutungsmechanismen werden in Opferschau-Texten wie etwa
in dem Kapitel summa multäbiltu der bärütu-Serie auch explizit
verdeutlicht. In der ersten Tafel dieses Kapitels werden sie tabel-
lenartig aufgelistet nach dem Schema Befund - Deutung - bei-

36 K 3945+ (CT 20/43-48) i 59, bearbeitet von U. S. Koch, Secrets 114,
Nr. 3/44.

37 Dies entspricht dem mathematischen Prinzip: + und + = +; + und - = -
sowie - und - = + .

38 In Einzelfällen konnten bei auffälligen Formen bestimmter Teile der
Leber auch Teile dieser Terminologie ersetzt werden, so steht etwa
qutnu(SIG), die „schmale Stelle“ sowohl bei der Gallenblase (martu)
als auch beim Joch (nTru) meist anstelle der „Basis“ in der Reihenfolge
„Spitze - Mitte - Basis“. Bestimmte Leberteile und auch einige
Markierungen können auch in vier Bereiche geteilt werden.

39 Siehe dazu auch die graphische Darstellung in J.-W. Meyer, Unter-
suchungen 141.

40 J.Nougayrol,RA 62 (1968) 31-50.

41 U. S. Koch, Secrets 66-72 und die Nr. 107-109. Vgl. auch in der
Textbearbeitung VAT 9580 (Nr. 78, KAR 444) und VAT 12953
(Nr. 79).

42 Zu niphii und pitrustu siehe zuletzt ausführlich U. S. Koch, Secrets 11-
21 und vgl. für die /i/p/ui-Merkmale in altbabylonischer Zeit auch
A. Winitzer, Generative Paradigm 158-175.

spielhaftes Omen. So etwa im ersten Eintrag: „Länge (bedeutet)
Erfolg, (so wie in dem Omen:) Wenn die Präsenz lang ist und
den Pfad erreicht: Der Fürst wird bei dem Feldzug, auf den er
zieht, Erfolg haben.“

Neben der Leber wurde auch die Lunge intensiv inspiziert
und ganz analog zur Leber, d. h. nach denselben hermeneuti-
schen Prinzipien ausgedeutet. Die Topographie der drei
Lungenlappen des Schafes war ähnlich differenziert wie die der
Leber, ist aber noch nicht vergleichbar gut erschlossen 43
Zahlreiche akkadische Bezeichnungen für Teile der Lunge sind
noch unidentifiziert, was auch darauf zurückzuführen ist, daß es
weit weniger Lungen- als Lebermodelle gibt. 44 Verschiedenen
Teilen der Lunge, auf der dieselben Markierungen („Keulen“,
„Löcher“, „Blasen“, etc.) wie auf der Leber beobachtet wurden,
galt eine besondere Aufmerksamkeit, so etwa der Lungenhaube
und dem mittleren Lungenfinger 45

Am Ende der Inspektion wurden die anfangs beiseite geleg-
ten Gedärme betrachtet. Bei diesen war in der Zwischenzeit das
sie umgebende Fett so zurückgewichen, daß die Darmwin-
dungen klar zu sehen waren 46 Es wurde zunächst untersucht,
wie viele davon vorhanden waren, wobei eine Zahl zwischen
zwölf und 16 als normal erachtet wurde. 47 Weiterhin wurde auf
ihre Größe und ihren Inhalt geachtet.

Bei der Inspektion zählte der Opferschauer nun die positiven
und negativen Zeichen auf der Leber, der Lunge und den
Gedärmen zusammen und kam so zu einem abschließenden
Ergebnis. Waren die positiven Zeichen in der Überzahl, so war
die Opferschau günstig und die Anfrage mit einem Ja beantwor-
tet, waren mehr negative als positive Zeichen vorhanden, so war
die Opferschau ungünstig und die Anfrage bekam ein Nein zur
Antwort. 48 Bei gleich vielen positiven wie negativen Zeichen
war die Opferschau uneindeutig und führte zu keinem Ergebnis.
Entscheidend für das Ergebnis einer Opferschau war dabei
natürlich, welche Zeichen überhaupt beachtet wurden; hierbei
sind bestimmte Zeichen zu verschiedenen Zeiten sicher unter-
schiedlich interpretiert worden, 49 doch blieb die Hermeneutik
der Opferschau in ihren Grundsätzen zu allen Zeiten der altori-
entalischen Geschichte bemerkenswert konstant.

43 Siehe die Liste von akkadischen Termini für die Teile der Lunge bei
I. Starr, SAA IV, S. XLVII-XLIX und U. S. Koch, Secrets 76-82.

44 Siehe dazu das Lungenmodell CTN IV/70, in einer tabellenartigen
Zusammenstellung bearbeitet bei U. S. Koch, Secrets 78-80.

45 Zur Lungenhaube, der Bezeichnung eines Lungenlappens, und zum
mittleren Lungenfinger, dem Lobus accesorius des rechten
Lungenflügels, siehe die Bemerkungen zu VAT 9934 (Nr. 1) iv 28 und
41 in der Textbearbeitung.

46 R. K. G. Temple, JCS 34 (1982) 20.

47 Dies gilt für die neuassyrischen Opferschau-Protokolle; in altbabyloni-
scher Zeit lag die ideale Anzahl zwischen zehn und 14 Windungen,
siehe I. Starr, HUCA 45 (1974) 23.

48 Daß das Ergebnis einer Opferschau anhand des quantitativen
Verhältnisses von positiven oder negativen Zeichen bestimmt wurde,
ergibt sich sowohl aus der inneren Logik der Opferschau-Protokolle, als
auch aus bestimmten Opferschau-Kompendien, die dieses Prinzip
explizit erwähnen, siehe beispielsweise VAT 13798 (Nr. 73) Vs. 5-7:
„Beachte [du] deine Opferschauen, interpretiere und vergleiche dann
deine guten und deine schlechten (Zeichen) [und ( ... )], wenn deine
guten Zeichen deine schlechten um eines übertreffen, sobald du sie
durchführst, ist es günstig, der Feind [ ... ], wenn deine schlechten
Zeichen deine guten um eines übertreffen, sobald du sie durchführst, ist
es nicht günstig, der Feind [ ... ].“

49 Zu den Zeichen, die im Laufe der Zeit eine unterschiedliche Bewertung
erhielten, gehört der Bezug der Opferschau-Anfrage auf einen Kranken.
Während in der altbabylonischen Zeit eine positive Opferschau auch
positiv für den Kranken ausgedeutet wurde, hat sich dies nach der alt-
babylonischen Zeit verändert, und eine positive Opferschau wurde als
ungünstig für den Kranken verstanden, während ein negatives Opfer-
 
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