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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 5): Divinatorische Texte: II. Opferschau-Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.32174#0018
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Einleitung

5

Die Bedeutung des Opfers

Bei den für die Opferschau verwendeten Opfertieren handelte es
sich zumeist um männliche Schafe. Weibliche Schafe wurden
wohl nur in sehr seltenen Ausnahmefällen verwendet. 50 Die Ein-
geweide, die in der Opferschau inspiziert wurden, stammten fast
ausschließlich von einem Widder, Lämmer dagegen dienten im
Ritual vor allem als Opfer an die Götter der Opferschau, Samas
und Adad. 51 Aufgrund der traditionellen Deutung „der die Hand
in Bezug auf die Ziege lang macht“ von mäs.su.gid.gid, der
sumerischen Bezeichnung für den Opferschauer, wurde lange
Zeit vermutet, daß gerade im frühen dritten Jahrtausend v. Chr.
auch Ziegen in der Opferschau Verwendung fanden 52 Dies ist
jedoch einerseits durch das weitgehende Fehlen entsprechender
Belege in Verwaltungstexten und andererseits durch eine neue
Deutung von mäs.su.gid.gid als „der das Omen verlangt“ zwei-
felhaft geworden 53 Seit dem Ende des dritten vorchristlichen
Jahrtausends, insbesondere zu Zeiten der III. Dynastie von Ur,
wurden sicher vor allem Schafe als Opfertiere verwendet. 54

Es wird häufig übersehen, daß neben Widdern auch Vögel
als Opfertiere genutzt wurden 55 Nicht wenige Opferschau-Texte
aus dem zweiten und ersten Jahrtausend v. Chr. beschreiben die
Eingeweide des Opfervogels, der wie die Schafe und Ziegen
geschlachtet und inspiziert wurde. 56 Die Terminologie der
Eingeweide des Opfervogels ähnelt der der Schafe, zeigt jedoch
einige signifikante Unterschiede, die keinen Zweifel daran las-
sen, daß sie sich tatsächlich auf einen Vogel beziehen und nicht,
wie noch von Fritz Rudolf Kraus vermutet, 57 als Euphemismus
für die Leber zu interpretieren sind. 58

schau-Ergebnis für den Kranken günstig war. Siehe dazu ausführlich
J. Nougayrol, Semitica 6 (1956) 514.

Weiterhin scheint auch das Vorhandensein eines normalen und gesun-
den Leber- oder Lungenteils unterschiedlich bewertet worden zu sein.
Wie I. Starr, HUCA 45 (1974) 19-23, ders., Rituals 113, J.-W. Meyer,
Untersuchungen 179 und Th. Richter, in: B. Böck et al. (Hrsg.), Ls.
J. Renger, 408 festgestellt haben, galt dies in der altbabylonischen Zeit
als positives Zeichen. Neuassyrische Opferschau-Protokolle zeigen
jedoch, daß solche Zeichen bei der Auszählung der Befunde ignoriert
werden konnten. Beispielsweise werden in K 159 (PRT 105,1. Starr,
SAAIV, Nr. 280) die beobachteten Zeichen einer Opferschau aufgelis-
tet, wobei das Lehlen (lä scikin) der „Stärke“ und das Vorhandensein
(sakin) der „Präsenz“ sowie das Normalsein (salim) von „Linger“ und
„Auswuchs“ notiert wird. Während nun die fehlende „Stärke“ als nega-
tives Zeichen gewertet wird, werden die anderen Beobachtungen bei der
Auswertung nicht mitgezählt, ja der Text spricht sogar explizit davon
(Vs. 19), daß keine positiven Zeichen in der Opferschau vorhanden
waren. Dies belegt eine gegenüber der altbabylonischen Epoche verän-
derte Wahrnehmung dieser Zeichen in der neuassyrischen Zeit.

50 U. Jeyes, Assyriological Miscellanies 1 (1980) 30 Anm. 19.

51 Siehe dazu U. Jeyes, Assyriological Miscellanies 1 (1980) 16. Natürlich
dienten die Lämmer auch als Übermittler der Anfrage des Opfergebers
an die Götter, siehe dazu oben. U. Jeyes, JEOL 32 (1991-92) 29 hat
bemerkt, daß die Verwendung von zwei Opfertieren im Opferschau-
Ritual sehr wahrscheinlich eine späte (d. h. aus dem ersten Jahrtausend
v. Chr. stammende) Verfeinerung des Opferschau-Rituals darstellt.

52 A. Lalkenstein, in: CRRAI 14,46.

53 W. Sallaberger - L. Huber Vulliet, RIA 10, 633a.

54 So bereits A. Lalkenstein, in: CRRAI 14,46.

55 Siehe hierzu J.-M. Durand, MARI 8 (1997) 272-282 und St. M. Maul,
RIA 10, 82f.

56 Siehe J. Nougayrol, RA 61 (1967) 23-38. Neben den von Nougayrol
edierten und besprochenen Texten aus der altbabylonischen
(BM 22740, MAH 15987 und YOS 10/51-53), mittelassyrischen
(VAT 10532 [Nr. 87, KAR 455]) und neuassyrischen Zeit (K 57,
K 2618 + K 6408 + K 14148 + Sm 1453 + Sm 1617 [teilw. CT 20/9],
K 6973 + K 13998 [CT 20/9] und A 120 [Nr. 88, KAR 426]) siehe auch
den mittelassyrischen Text VAT 10439 (Nr. 89) sowie die unpublizier-
ten Lragmente K 10076 und K 11427.

57 L. R. Kraus, JCS 4 (1950) 145.

58 Siehe die ausführliche Diskussion bei J. Nougayrol, RA 61 (1967) 30f.

Das Opfer war für die Opferschau von entscheidender
Bedeutung. Anders als etwa bei der heutzutage gem als sinnlose
Orakeltechnik zitierten „Kaffeesatzleserei“ ist der entscheidende
Aspekt der Opferschau, daß den Göttem ein ihnen angenehmes,
wertvolles Opfer dargebracht wird, welches sie erst veranlaßt,
die Entscheidung über die Anfrage zu treffen. Dieser Aspekt der
Gabe, die von dem Anfragenden verlangt, etwas für ihn wertvol-
les den Göttern zu opfem, wird nicht selten auch in Opferschau-
Texten zum Ausdruck gebracht:

„Es bringt Dir der Opferschauer Zeder(nharz), die Witwe
Röstmehl, die Arme Öl; der Reiche aus seinen Reichtümern
bringt ein Lamm.“ 59

Diese Passage zeigt uns einerseits die Einteilung der Opfer-
materie nach sozialem Status und andererseits die Not-
wendigkeit der Gabe an die Götter in der Divination. Und sei
eine Person auch noch so arm, etwas (für sie) Wertvolles mußte
sie aus ihrem Besitz im Opfer an die Götter spenden. 60 Weiterhin
weist die Passage, wie bereits von verschiedenen Gelehrten
betont wurde, 61 darauf hin, daß auch in anderen divinatorischen
Verfahren wie der Libanomantie, der Aleuromantie und der
Lekanomantie die Opfermaterie das entscheidende Medium zur
Kommunikation mit der Sphäre des Göttlichen darstellt. Bei der
nur aus der altbabylonischen Zeit bekannten Divination durch
Rauchomina (Libanomantie) werden die Gestalt des aufsteigen-
den Rauches ausgedeutet sowie die Himmelsrichtung, in die der
Rauch davonzog. 62 Die bislang nur in einer einzigen spätaltba-
bylonischen Tafel bezeugten Mehlomina (Aleuromantie),
bestehen aus recht einfach strukturierten Verfahren, wie dem
Werfen von einem oder sieben Mehlhäufchen, deren Form und
Lage im Raum interpretiert werden konnten. 63 In der von diesen
drei Divinationsformen am besten bezeugten Lekanomantie
(„Becherwahrsagung“), die auch in Assur belegt ist, 64 wird Ö1 in
Wasser gegossen und dann werden Verlaufsformen,
Bewegungsrichtung sowie Verfärbungen des Öls beobachtet. 65
All diese Divinationsformen basieren wie die Auslegung der an
den Eingeweiden eines Opfertieres abzulesenden Zeichen auf
der Opfermaterie als Geschenk, als Darreichung an die Götter,
wobei die Opfermaterie gleichzeitig das Mittel der Kommuni-
kation, der Träger der Botschaft der Götter ist.

Der Berufsstand des Opferschauers

Diese Opferschau-Techniken, sei es die Betrachtung der
Eingeweide eines Opfertieres oder aber die preiswerteren

59 K 3333 (A. L. Oppenheim, Dreams 340) 9’-10’ // KAR 252 iii 21-23 //
K 3286 (Gray, Samas, Taf. 3) 3-6.

60 Ganz nebenbei sei darauf hingewiesen, daß in der zitierten Wendung
auch eine immanente Wertung der Geschlechter steckt, da der Opfer-
schauer und der Reiche maskulin, die Witwe und die Arme jedoch femi-
nin gebildet sind. Reichtum und Prestige werden hier also mit dem
männlichen, Armut und soziale Mißachtung hingegen mit dem weibli-
chen Geschlecht assoziiert.

61 J. Nougayrol, OrNS 32 (1963) 381, A. R. George und L. N. H. al-Rawi,
Iraq 58 (1996) 174 und St. M. Maul, RIA 10, 70a.

62 Zur Libanomantie siehe zuletzt St. M. Maul, RIA 10, 84-85.

63 Siehe J. Nougayrol, OrNS 32 (1963) 381-386 und St. M. Maul, in:
D. Shehata et al. (Hrsg.), Von Göttern und Menschen, 115-130.

64 Siehe dazu VAT 10100 (Nr. 70).

65 Die Ölomina wurden umfassend von G. Pettinato, Ölwahrsagung, bear-
beitet. Siehe auch St. M. Maul, RIA 10, 83-84.
 
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