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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 5): Divinatorische Texte: II. Opferschau-Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.32174#0020
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Einleitung

7

Tätigkeiten aufbessern. So wissen wir gerade aus Quellen des
zweiten vorchristlichen Jahrtausends, daß Opferschauer auch als
Richter, 81 Geldverleiher 82 oder Tempelbedienstete 83 tätig waren.
Mancher Opferschauer konnte am Hofe auch Karriere machen
und sogar zum König aufsteigen, wie etwa der altbabylonische
Herrscher Aqba-Hammu 84 Nach allem, was wir den Texten ent-
nehmen können, genossen die Opferschauer großen Respekt in
der Gesellschaft. Dem tut es keinen Abbruch, daß vereinzelt
auch Kritik an ihrer Kunst aufkam, etwa in der „Kutha-Legende“
des Königs Naram-Sin, dem nach unpassenden Opferschau-
Resultaten folgende Gedanken unterstellt werden: „Welcher
Löwe hat jemals eine Opferschau veranstaltet? ... Ich werde wie
ein Dieb nach meinem eigenen Ratschluß vorgehen und ich
werde (die Weisungen) der Götter beiseite werfen.“ 85 Solche
Belege unterstreichen durch die danach geschilderten negativen
Folgen dieser Mißachtung der Götter nur die Bedeutung der
Opferschau und so dürften die Dienste der Opferschauer sich
gerade bei den Herrschenden reger Nachfrage erfreut haben. Es
gab jedoch auch Warnungen, die Götter nicht zu verärgern,
indem man sie zu häufig um Entscheidungen bat. Ein Omen
führt aus: „Wenn er beständig seinen Gott um eine Entscheidung
bittet: Ärger des Gottes,“ 86 und im neuassyrischen Opferschau-
Ritual wird gewarnt: „Wenn der Opferschauer beständig
Opferschauen durchführt, dann wird er den Tod wegen Unrechts
erleiden.“ 87

Die Quellen zur Opferschau

Unsere Kenntnis der altorientalischen Opferschau verdanken wir
verschiedenen, in ihrer Fülle nur schwer zu überblickenden
Quellen. Hierzu gehören insbesondere zwei sehr unterschiedli-
che Gruppen von Texten, zum einen die Opferschau-Kom-
pendien und zum anderen die Opferschau-Protokolle und -An-
fragen. Unter Opferschau-Kompendien sind die zahlreichen
Sammlungen von Omina zu verstehen, die seit der altbabyloni-
schen Zeit bis ans Ende der Keilschriftkultur überliefert wurden.
Ein Omen besteht dabei aus der als Zeichen erkannten
Beobachtung, dem Befund (Protase) und der damit fest verbun-
denen Deutung (Apodose). Insbesondere die Merkmale der
Schafsleber, aber auch der Lunge und der Gedärme werden in
diesen Kompendien behandelt, daneben gibt es auch
Abhandlungen über das Knochengerüst und - weit weniger häu-
fig - Texte zu anderen Organen wie dem Herz, den Nieren, der
Milz, der Bauchspeicheldrüse, den Hoden, der Blase oder auch
dem Zwerchfell. Daneben sind auch Zusammenstellungen von
Omina erhalten, die sich auf das Verhalten des Schafes beim
Opfer beziehen. Recht zahlreich sind auch Kompendien mit
Zusammenstellungen von schwer zu interpretierenden Be-
funden.

Am Ende des zweiten oder zu Beginn des ersten vorchristlichen
Jahrtausends sind diese Opferschau-Kompendien in der großen

81 Th. Richter, OrNS 72 (2003) 440.

82 S. Richardson, in: C. Wunsch (Hrsg.), Fs. Chr. Walker, 229-235.

83 D. Fleming, Time at Emar 26-35.

84 St. Dalley et al„ Tell al Rimah 32f.

85 J. G. Westenholz, Legends 316, Z. 80-83. Siehe auch C. Ambos, Welt
der Rituale 233f.

86 CT 51/147, Vs. 39', siehe die Bearbeitung von E. Reiner, in: G. van
Driel et al. (Hrsg.), Fs. F. R. Kraus, 287/39' und siehe auch U. Jeyes,
JEOL 32(1991-92) 31.

87 H. Zimmern, BBR, Nr. 11 iii 19-20.

Opferschau-Serie bärütu, die 100 Tafeln in zehn Kapiteln
umfasste, serialisiert worden. Im Zuge dieser Kanonisierung der
Texte wurden auch erklärende Kommentare zu den Kapiteln der
bärütu-Serie verfaßt, die wiederum selbst zu Serien geformt
wurden. Der Aufbau der Serie bärütu und der Umfang der ein-
zelnen Kapitel läßt sich tabellarisch folgendermaßen darstellen:

Kapitel

Titel

Tafeln im
Kapitel

Tafeln in der

bärütu-Serie

1

summa isru

4

1-4

2

summa tTränü

8

5-12

3

summa manzäzu

6

13-18

4

summa padänu

6

19-24

5

summa pän täkalti

15

25-39

6

summa martu

10

40-49

7

summa ubänu

11

50-60

8

summa kakku

8+x

61-68+x 88

9

summa hasü

14

69+x-82+x

10

summa multäbiltu

17

83+x-99+x

Die Serie bestand somit aus Opferschau-Beobachtungen
zum Knochengerüst (Kapitel 1), zu den Darmwindungen
(Kapitel 2), zur Leber (Kapitel 3-8), zur Lunge (Kapitel 9) sowie
aus erklärenden Texten (Kapitel 10). Einige Organe, die in
Opferschau-Texten seltener erwähnt werden, spielen in der
bärütu-Serie kaum eine Rolle. Hierzu gehören vor allem die
Nieren (kalitü), die Milz (tullmu), das Herz (libbu), die Blase
(elibuhhu) und das Zwerchfell (tal libbi).

Die Anordnung der Kapitel der bärutu-Serie erfolgte in der
Reihenfolge, in der der Opferschauer die Opferschau vomahm.
Zuerst erscheinen die Beobachtungen des Knochengerüsts des
Opfertieres, die - wenigstens zum Teil - noch am lebenden Tier
vorgenommen wurden. Diese Omina sind im ersten Kapitel der
Serie versammelt. Nach der Schlachtung mußten die Gedärme
entnommen werden, um an die inneren Organe zu gelangen. Der
Opferschauer interessierte sich jedoch nicht für alle Teile der
Gedärme, sondern nur für den Dickdarm, insbesondere für den
Grimmdarm (Kolon) und den Blinddarm (Caecum), die im zwei-
ten Kapitel ausgedeutet wurden. Die folgenden fünf Kapitel sind
der Leber gewidmet. Vier besonders bedeutende Leberteile - die
Präsenz (drittes Kapitel), der Pfad (viertes Kapitel), die
Gallenblase (sechstes Kapitel) und der Finger (siebtes Kapitel) -
bekamen jeweils ihr eigenes Kapitel, alle anderen Teile der
Leber wurden in dem umfangreichen fünften Kapitel summa pän

88 Die Anzahl der Tafeln in neun von zehn Kapiteln kann als geklärt
betrachtet werden. Lediglich bei dem Kapitel summa kakku ist unklar,
wie viele Tafeln es umfaßt. Sicher belegt sind acht Tafeln, allerdings
kann das Kapitel beliebig mehr enthalten. Da jedoch altorientalische
Textserien oft auf runde oder magisch bedeutende Zahlen (drei, sieben,
zehn, zwölf, oder ein Vielfaches davon) verteilt werden, darf man viel-
leicht vermuten, daß das Kapitel summa kakku neun Tafeln umfaßt und
die bärütu-Serie somit aus 100 Tafeln besteht, siehe dazu auch U. Jeyes,
OBE 11 und I. Starr, SAAB 6 (1992) 46 .
 
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