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Heeßel, Nils P.; Maul, Stefan M. [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 5): Divinatorische Texte: II. Opferschau-Omina — Wiesbaden: Harrassowitz, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.32174#0025
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Divinatorische Texte II: Opferschau-Omina

Räumen und in dem Nordwest-Tor, das wahrscheinlich den
Namen „Enpi-Tor“ trug, gefunden. 137 Man darf daher vermuten,
daß sie zu einer Bibliothek gehörten, die in den Räumen neben
oder über dem „Enpi“-Tor gelegen war. Diesen Tafeln können
aufgrund von Zusammenschlüssen von Fragmenten, aber auch
von identischen Schreibernamen in den Kolophonen weitere
Tafeln hinzugeordnet werden, die vor allem im südlichen
Bereich des großen Hofes sowie im Westen des Assur-Tempels
gefunden wurden. 138 Ein schönes Beispiel hierfür sind die oben
bereits angeführten drei Opferschau-Kompendien aus der Hand
des Samas-zera-iddina, von denen zwei 139 im nördlichen Teil
des „Nunamnir-Hofes“ gefunden wurden, einer 140 hingegen im
großen Hof des Assur-Tempels. Vier weitere Tafeln wurden im
Bereich des großen Hofes gefunden. 141 Die Bibliothek beim
„Enpi“-Tor im Südwesthof des Assur-Tempels wurde von
E. Weidner, der erstmals auf diese Texte aufmerksam machte, 142
als Bibliothek und Staatsarchiv angesehen. Sie ging ihm zufolge
auf TukultT-Ninurta I. zurück, der hier nach einer seiner
Inschriften die aus Babylonien geraubten Originaltafeln sam-
melte, während Tiglatpileser I. diese Sammlung mit assyrischen
Tafeln ausbaute. Zu dieser Deutung gelangte Weidner durch die
Datierung der in der Bibliothek belegten „Hof und
Haremserlasse“ 143 auf Tiglatpileser I. sowie durch zahlreiche
Eponymendatierungen auf den Tafeln, die aus der Zeit dieses
Königs stammen. Den offiziellen Charakter der Bibliothek
meinte Weidner aus der „außerordentlich sorgfältigen
Herstellung“ der Tafeln sowie dem gemeinsamen Kennzeichen
des Doppelstrichs mit den Zeichen BE und MAN am Ende des
Textes ableiten zu dürfen. 144 Diese Deutung der im Südwesthof
des Assur-Tempels und verstreut in der Stadt gefundenen
Sammlung von literarisch-wissenschaftlichen Texten als „Bib-
liothek Tiglatpilesers I.“ ist vielfach auf Kritik gestoßen. So hat
zuerst Wilfred G. Lambert 145 mehrere der Ansichten Weidners
zurückgewiesen, wie etwa die Gründung der Bibliothek durch
TukultT-Ninurta I„ die auf einer problematischen Ergänzung sei-
ner Inschriften beruht, oder die Annahme einer königlichen
Bibliothek, obwohl die Kolophone hierauf keinerlei Rückschluß
zulassen. Auch Olof Pedersen ist der Annahme einer von den
Königen Tukultl-Ninurta I und Tiglatpileser I. begründeten
königlichen Bibliothek nicht gefolgt. Er sieht die Texte entwe-
der wie Lambert als Abschriften für die Privatbibliotheken eini-
ger Gelehrter, die später in den Assur-Tempel gelangten, oder
aber als Teil einer offiziellen Bibliothek, die aber nicht auf einen
besonderen Stiftungsakt eines bestimmten Königs zurück-
geht. 146 Helmut Freydank hat schließlich darauf hingewiesen,
daß zahlreiche der bis dahin Tiglatpileser I. zugeschriebenen,

137 Siehe ausführlich O. Pedersen, ALA II, 12f., „Nl“.

138 Ebd. 13 mit Anm. 6-7.

139 Es handelt sich um A 8 (Nr. 37) und VAT 10168 (Nr. 80).

140 Dies ist VAT 13798 (Nr. 73). Ein weiterer, in Ninive gefundener Text
aus der Hand dieses Schreibers befindet sich in der Koujuncik-
Sammlung des Britischen Museums, K 205 (+) Rm2, 101 (Nr. 51).

141 Hierzu gehören VAT 10115 (Nr. 43), VAT 10732+ (Nr. 82), VAT 9488
(Nr. 84) und A 455 (Nr. 93).

142 E. Weidner, AfO 16 (1952-53) 197-215.

143 Siehe hierzu E. Weidner, AfO 17 (1954-56) 257-293. Eine neuere Über-
setzung findet sich bei M. T. Roth, Law Collections 195-209.

144 Der Doppelstrich mit den Zeichen BE und MAN ist auch bei Texten aus
Babylonien, Emar, Ugarit und Hattusa dieser Zeit belegt und kann als
grobes Datierungskriterium, aber nicht als spezielles Merkmal der mit-
telassyrischen Texte angesehen werden. Siehe dazu bereits oben S. 10.

145 W. G. Lambert, Iraq 38 (1976) 85f., Anm. 2.

146 O. Pedersen, ALA I 37f., siehe auch 31f.

vor allem lexikalischen Tafeln tatsächlich ca. 40-50 Jahre älter
sind. 147 Aufgrund dieser berechtigten Kritik sind Weidners
Vorstellungen einer im wesentlichen von Tiglatpileser I. gestif-
teten königlichen Bibliothek sicher zurückzuweisen. Ungelöst -
und angesichts des wenig aussagekräftigen Materials und der
schwierigen Fundumstände wohl auch nicht abschließend zu
klären - ist die Frage, ob die Tafeln der Bibliothek ursprünglich
in privaten Gelehrtenbibliotheken aufgestellt waren und erst spä-
ter in die Bibliothek beim „Enpi“-Tor gebracht wurden, oder ob
sie tatsächlich als „offizielle“ Tafeln direkt für diese Bibliothek
geschrieben wurden.

Die Bibliothek beim „Enpi“-Tor im Assur-Tempel stellt die
umfangreichste Sammlung von Opferschau-Kompendien in
Assur dar; daneben wurden drei Tafeln in der Bibliothek der
Familie des Bäba-suma-ibni im Suchgraben hD8I gefunden. 148
Diese Funde in dieser bis zur Zerstörung der Stadt im Jahr 614
v. Chr. intakten Bibliothek illustrieren sehr schön, daß
Opferschau-Kompendien durchaus auch von Gelehrten besessen
werden konnten, die einer anderen Profession, in diesem Falle
der des äsipu „Beschwörers“ angehörten. Einer dieser Texte,
VAT 8611 (Nr. 30), ist nach seinem Kolophon von dem jungen
Schreiberlehrling Nabü-etir geschrieben worden, der wohl nicht
zur Familie von Bäba-suma-ibni gehörte. 149 Für die anderen
Opferschau-Kompendien, deren Fundort bekannt ist, lassen sich
keine Bibliothekszusammenhänge herstellen; so wurden vier im
Bereich der Ziqqurrat, 150 drei im Alten Palast, 151 drei im oder in
der Nähe des Anu-Adad-Tempels 152 und eine auf einer
Abraumhalde gefunden. 153 Drei Tafeln wurden in Schuttlöchem
bzw. als Füllbrocken zwischen Lehmziegeln entdeckt, waren
also bereits im Altertum ausrangiert und weggeworfen wor-
den. 154

Textgeschichtliche Bedeutung

Die mittelbabylonischen und mittelassyrischen Opferschau-
Kompendien aus Assur sind vor allem in textgeschichtlicher
Hinsicht höchst interessant. Zum einen erlauben diese Texte
Einblicke in die Phase der Ausformung und Standardisierung
der Texte und zum anderen geben sie erstmals Belege dafür, daß
die Serienbildung nicht - wie lange in der Assyriologie ange-
nommen - graduell verlief und die verschiedenen Texte zu
einem bestimmten Zeitpunkt einmalig serialisiert und damit
kanonisiert wurden, sondern daß, zumindest bei den Opfer-
schau-Texten, von mehreren, konkurrierenden Serienbildungen

147 H. Freydank, SGKAO 21,95f. und 225.

148 Dies sind VAT 13803 + VAT 13810 (Nr. 19), VAT 8611 (Nr. 30) und
VAT 14206 (Nr. 71).

149 Zur Familie von Bäba-suma-ibni siehe St. M. Maul, in: St. M. Maul und
N. P. Heeßel (Hrsg.), Assur-Forschungen, 189-228 und insbesondere
216f. zu den Abschriften im »Haus des Beschwörungspriesters«, die
nicht von Mitgliedern der Familie Bäba-suma-ibnis stammen.

150 VAT 9512 (Nr. 8) wurde zwischen dem Alten Palast und der Ziqqurrat,
VAT 9993 (Nr. 24) in der Schlucht nördlich der Ziqqurrat, VAT 10740
(Nr. 47) ebenfalls nördlich der Ziqqurrat und VAT 9600 (Nr. 50) süd-
lich der Ziqqurrat gefunden.

151 VAT 10206 + VAT 14320 (Nr. 48), A 442 (Nr. 49) und A 463 (Nr. 85).

152 VAT 9560 (Nr. 9) und VAT 9518 (+) A 468 (Nr. 83) sind in der Nähe
des Anu-Adad-Tempels und VAT 9492 (Nr. 64) ist im Anu-Adad-
Tempel gefunden worden.

153 VAT 12942 (Nr. 90).

154 Es handelt sich um VAT 9512 (Nr. 8), VAT 8687 (Nr. 12) und VAT
8710 (Nr. 60).
 
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