Einleitung
15
(Nr. 73) mit dem Hinweis „15. Tafel“ aus Assur und nicht etwa
aus Babylonien, auch wenn dies nur indirekt auf eine assyrische
Entstehung dieser Serie verweist. 170 Daß in Assur an den
Opferschau-Texten gearbeitet wurde, und die Omina in „ältere“
und damit implizit auch in neuere, aktuellere Omina unterschie-
den wurden, belegt die Zwischenunterschrift von VAT 10513
(Nr. 38). 171 Schließlich ist hier auch der Kolophon des mittelas-
syrischen Opferschau-Kompendiums AO 7264 (Nr. 31) anzu-
führen, der - obwohl er nur fragmentarisch erhalten ist - zu
weitreichenden Spekulationen Anlaß bietet. Im Kolophon
erscheint nach der Zählung der Omina und der Angabe des
Schreibernamens und seiner Filiation dort, wo die Datierung zu
erwarten wäre, eine schwer zu deutende Zeile. Diese legt durch
die Erwähnung von Samas und Adad, den Göttern der
Opferschau, sowie der Wendung qaqqad/res tuppT, die sich nur
auf die jeweils ersten Zeilen, die Incipits der Serientafeln bezie-
hen kann, nahe, daß hier auf eine Serialisierung der Opferschau-
Kompendien Bezug genommen werden könnte. 172
Die Opferschau-Texte aus Assur belegen somit, daß bereits
in der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends
Opferschau-Serien existierten, die in Textaufbau und Tafel-
anordnung der späteren bärütu-Serie ähneln. Neu ist insbeson-
dere die durch VAT 9512 (Nr. 8) erstmals zu belegende mittel-
babylonische Opferschau-Serie, während zur mittelassyrischen
170 Denkbar wäre natürlich auch, daß diese Vorlage wiederum auf einer
Vorlage aus Babylonien beruht.
171 VAT 10513 (Nr. 38), Rs. 20: [(0)] SU.NIGIN 77 MU.MES SUMUN-tc ?
MU.MES sä ina SÄ tup-pi an-ni-ti se-lu-ni ina tup-pa-ti sä-na-te-ma sä
SU.SI x [ (x x) ] „[ (...) ] Summe: 77 alte Omina. Die Omina, die auf die-
ser Tafel eingetragen sind, sind auf anderen Tafeln des „Fingers“ ... [ (...
...)]•“
172 AO 7264 (Nr. 31) Rs. 22’: MU dSä-mas ü dISKUR SAG.DU DUB-pi [ ...
... ] „ Bei ? Samas und Adad, die Incipits der Tafeln [.].“
Opferschau-Serie mehrere neue Texte gestellt werden konnten.
Sie illustrieren anhand der Opferschau-Texte beispielhaft, daß
der Kanonisierungsprozeß in Babylonien und Assyrien nicht so
einheitlich verlaufen ist, wie dies oft angenommen wird. Bereits
das Bekanntwerden der altbabylonischen Opferschau-Serie 173
hatte die Vorstellung ins Wanken gebracht, ungeordnete Texte
der altbabylonischen Zeit seien in der zweiten Hälfte des zwei-
ten vorchristlichen Jahrtausends unter den Kassitenherrschern
erstmals zu Serien geformt und dann ins erste Jahrtausend
v. Chr. überliefert worden. Die in den Opferschau-Texten aus
Assur vorliegenden Opferschau-Serien zeigen indes, daß die
mittelbabylonische und mittelassyrische Serienbildung nicht
direkt ins erste vorchristliche Jahrhundert überliefert wurde.
Vielmehr wurden die bereits seit der altbabylonischen Zeit
inhaltlich stark durchgearbeiteten Texte wie Textbausteine mit
geringfügigen Änderungen und in anderer Anordnung in die
Serie bärütu übernommen.
Eine besondere lokale Eigentümlichkeit Assurs besteht
darin, daß dort Manuskripte der bärütu-Serie, die sich sonst in
fast allen babylonisch-assyrischen Städten finden, bislang fast
vollständig fehlen. So liefert derzeit nur der neuassyrische
Exzerpttext VAT 9934 (Nr. 1), der Auszüge aus der gesamten
Serie bärütu enthält, einen Hinweis auf die Bekanntheit dieser
Serie in Assur. 174
173 Zur altbabylonischen Opferschau-Serie siehe U. Jeyes, OBE, 9-11. Zu
den altbabylonischen Tafeln, die im Kolophon den Vermerk „KI+Zahl“
aufweisen, siehe U. Jeyes, OBE 9, Th. Richter, OrNS 62 (1993) 121-
141 und J.-J. Glassner, ZA 99 (2009) 1-81.
Ulla Jeyes, OBE 11 hat dargelegt, daß die altbabylonische Opferschau-
Serie genauso lang wie oder sogar länger als die wahrscheinlich 100
Tafeln umfassende Serie bärütu aus dem 1. Jt. v. Chr. war. Zudem
nahm sie an, daß ihr Aufbau dem der späteren bärütu-Serie inhaltlich
stark ähnelte. Diese Deutung ist allgemein akzeptiert worden, siehe
Th. Richter, OrNS 62 (1993) 121 und 130 mit Anm. 33, U. Koch-
Westenholz, BLO 16 und J.-J. Glassner, ZA 95 (2005) 278 Anm. 10.
Die Annahme einer 100 oder mehr Tafeln umfassenden altbabyloni-
schen Opferschau-Serie beruht jedoch hauptsächlich auf einem einzigen
Kolophon, dem von BM 97007, publiziert von U. Jeyes, OBE Nr. 11.
Entgegen ihrer Auffassung, hier in Rs. 2’ DUB-pf 60+30'ka 1 -1 lesen und
dies als Zählung einer 90. Tafel (siehe U. Jeyes, OBE S. 11) deuten zu
können, ist es sicher wahrscheinlicher, in dieser Zeile einen Eigentums-
vermerk zu sehen. Mit J.-J. Glassner, ZA 97 (2009) 7 ist einfach ein
Personenname DL'ß-/V 1 .S'/7;(XXX)-'A:« 1 -1 „Tafel des Sin-ka[ ... ]” anzu-
nehmen, wodurch die Vermutung einer Tafelzählung obsolet wird.
Ohne diesen Beleg, der der ‘Kronzeuge’ für Jeyes’ Rekonstruktion war,
läßt sich die Vorstellung einer mindestens 100 Tafeln umfassenden, der
bärütu-Serie des ersten vorchristlichen Jahrtausends ähnelnden altbaby-
lonischen Opferschau-Serie nicht halten. Somit bleiben als Zeugen
einer altbabylonischen Opferschau-Serie nur der Kolophon von BM
78241 (CT 44/37), der die erste Tafel einer Serie, die sich auf ubänu,
den „Finger“ bezieht, nennt, sowie eventuell ein weiterer Kolophon in
YOS 10/48, der SU.NIGIN 48 MU.BI.IM l.KAM/.yA 1 „Summe: 48
Omina, erste“ lautet.
174 Zum Zusammenhang von VAT 9934 (Nr. 1) und der bärütu-Serie siehe
die Bemerkungen zu VAT 9934 (Nr. 1) in den Textbearbeitungen.
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(Nr. 73) mit dem Hinweis „15. Tafel“ aus Assur und nicht etwa
aus Babylonien, auch wenn dies nur indirekt auf eine assyrische
Entstehung dieser Serie verweist. 170 Daß in Assur an den
Opferschau-Texten gearbeitet wurde, und die Omina in „ältere“
und damit implizit auch in neuere, aktuellere Omina unterschie-
den wurden, belegt die Zwischenunterschrift von VAT 10513
(Nr. 38). 171 Schließlich ist hier auch der Kolophon des mittelas-
syrischen Opferschau-Kompendiums AO 7264 (Nr. 31) anzu-
führen, der - obwohl er nur fragmentarisch erhalten ist - zu
weitreichenden Spekulationen Anlaß bietet. Im Kolophon
erscheint nach der Zählung der Omina und der Angabe des
Schreibernamens und seiner Filiation dort, wo die Datierung zu
erwarten wäre, eine schwer zu deutende Zeile. Diese legt durch
die Erwähnung von Samas und Adad, den Göttern der
Opferschau, sowie der Wendung qaqqad/res tuppT, die sich nur
auf die jeweils ersten Zeilen, die Incipits der Serientafeln bezie-
hen kann, nahe, daß hier auf eine Serialisierung der Opferschau-
Kompendien Bezug genommen werden könnte. 172
Die Opferschau-Texte aus Assur belegen somit, daß bereits
in der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends
Opferschau-Serien existierten, die in Textaufbau und Tafel-
anordnung der späteren bärütu-Serie ähneln. Neu ist insbeson-
dere die durch VAT 9512 (Nr. 8) erstmals zu belegende mittel-
babylonische Opferschau-Serie, während zur mittelassyrischen
170 Denkbar wäre natürlich auch, daß diese Vorlage wiederum auf einer
Vorlage aus Babylonien beruht.
171 VAT 10513 (Nr. 38), Rs. 20: [(0)] SU.NIGIN 77 MU.MES SUMUN-tc ?
MU.MES sä ina SÄ tup-pi an-ni-ti se-lu-ni ina tup-pa-ti sä-na-te-ma sä
SU.SI x [ (x x) ] „[ (...) ] Summe: 77 alte Omina. Die Omina, die auf die-
ser Tafel eingetragen sind, sind auf anderen Tafeln des „Fingers“ ... [ (...
...)]•“
172 AO 7264 (Nr. 31) Rs. 22’: MU dSä-mas ü dISKUR SAG.DU DUB-pi [ ...
... ] „ Bei ? Samas und Adad, die Incipits der Tafeln [.].“
Opferschau-Serie mehrere neue Texte gestellt werden konnten.
Sie illustrieren anhand der Opferschau-Texte beispielhaft, daß
der Kanonisierungsprozeß in Babylonien und Assyrien nicht so
einheitlich verlaufen ist, wie dies oft angenommen wird. Bereits
das Bekanntwerden der altbabylonischen Opferschau-Serie 173
hatte die Vorstellung ins Wanken gebracht, ungeordnete Texte
der altbabylonischen Zeit seien in der zweiten Hälfte des zwei-
ten vorchristlichen Jahrtausends unter den Kassitenherrschern
erstmals zu Serien geformt und dann ins erste Jahrtausend
v. Chr. überliefert worden. Die in den Opferschau-Texten aus
Assur vorliegenden Opferschau-Serien zeigen indes, daß die
mittelbabylonische und mittelassyrische Serienbildung nicht
direkt ins erste vorchristliche Jahrhundert überliefert wurde.
Vielmehr wurden die bereits seit der altbabylonischen Zeit
inhaltlich stark durchgearbeiteten Texte wie Textbausteine mit
geringfügigen Änderungen und in anderer Anordnung in die
Serie bärütu übernommen.
Eine besondere lokale Eigentümlichkeit Assurs besteht
darin, daß dort Manuskripte der bärütu-Serie, die sich sonst in
fast allen babylonisch-assyrischen Städten finden, bislang fast
vollständig fehlen. So liefert derzeit nur der neuassyrische
Exzerpttext VAT 9934 (Nr. 1), der Auszüge aus der gesamten
Serie bärütu enthält, einen Hinweis auf die Bekanntheit dieser
Serie in Assur. 174
173 Zur altbabylonischen Opferschau-Serie siehe U. Jeyes, OBE, 9-11. Zu
den altbabylonischen Tafeln, die im Kolophon den Vermerk „KI+Zahl“
aufweisen, siehe U. Jeyes, OBE 9, Th. Richter, OrNS 62 (1993) 121-
141 und J.-J. Glassner, ZA 99 (2009) 1-81.
Ulla Jeyes, OBE 11 hat dargelegt, daß die altbabylonische Opferschau-
Serie genauso lang wie oder sogar länger als die wahrscheinlich 100
Tafeln umfassende Serie bärütu aus dem 1. Jt. v. Chr. war. Zudem
nahm sie an, daß ihr Aufbau dem der späteren bärütu-Serie inhaltlich
stark ähnelte. Diese Deutung ist allgemein akzeptiert worden, siehe
Th. Richter, OrNS 62 (1993) 121 und 130 mit Anm. 33, U. Koch-
Westenholz, BLO 16 und J.-J. Glassner, ZA 95 (2005) 278 Anm. 10.
Die Annahme einer 100 oder mehr Tafeln umfassenden altbabyloni-
schen Opferschau-Serie beruht jedoch hauptsächlich auf einem einzigen
Kolophon, dem von BM 97007, publiziert von U. Jeyes, OBE Nr. 11.
Entgegen ihrer Auffassung, hier in Rs. 2’ DUB-pf 60+30'ka 1 -1 lesen und
dies als Zählung einer 90. Tafel (siehe U. Jeyes, OBE S. 11) deuten zu
können, ist es sicher wahrscheinlicher, in dieser Zeile einen Eigentums-
vermerk zu sehen. Mit J.-J. Glassner, ZA 97 (2009) 7 ist einfach ein
Personenname DL'ß-/V 1 .S'/7;(XXX)-'A:« 1 -1 „Tafel des Sin-ka[ ... ]” anzu-
nehmen, wodurch die Vermutung einer Tafelzählung obsolet wird.
Ohne diesen Beleg, der der ‘Kronzeuge’ für Jeyes’ Rekonstruktion war,
läßt sich die Vorstellung einer mindestens 100 Tafeln umfassenden, der
bärütu-Serie des ersten vorchristlichen Jahrtausends ähnelnden altbaby-
lonischen Opferschau-Serie nicht halten. Somit bleiben als Zeugen
einer altbabylonischen Opferschau-Serie nur der Kolophon von BM
78241 (CT 44/37), der die erste Tafel einer Serie, die sich auf ubänu,
den „Finger“ bezieht, nennt, sowie eventuell ein weiterer Kolophon in
YOS 10/48, der SU.NIGIN 48 MU.BI.IM l.KAM/.yA 1 „Summe: 48
Omina, erste“ lautet.
174 Zum Zusammenhang von VAT 9934 (Nr. 1) und der bärütu-Serie siehe
die Bemerkungen zu VAT 9934 (Nr. 1) in den Textbearbeitungen.