XIV
Einleitung des Herausgebers
Ausweg aus der durch Nietzsche und Kierkegaard erschlossenen Situation des Men-
schen zwischen Gottlosigkeit und Offenbarungsglauben, Nihilismus und Theismus.
Angesichts dieser zu kurz greifenden Alternative müsse das Philosophieren »sich des
Grundes des eigenen eigentlich philosophischen Glaubens neu vergewissern«.26 Neu
vergewissern: Das hieß, dass es den philosophischen Glauben schon gab, und zwar
so lange schon, wie es das philosophische Denken gab, dass er aber, wie gerade das
Denken der beiden maßgeblichen Philosophen des Zeitalters deutlich machte, von
der Philosophie vergessen worden war. Es galt, die geistige Situation der Zeit, jene
fundamentale Brüchigkeit der geistigen Überlieferung, die Kierkegaard und Nietz-
sche so schonungslos aufgedeckt hatten, als Herausforderung für das Denken anzu-
nehmen. Anstelle einer unendlichen Reflexion, die alle Gehalte auflöste, aber keine
neuen schuf, vielmehr nur durch einen gewaltsamen Sprung auf einen transzenden-
ten Standpunkt außerhalb seiner selbst überwunden werden konnte, kam es darauf an,
das Denken durch formales Transzendieren aller möglichen Standpunkte bis zu dem
Ende zu führen, in dem es sich von selbst aufhob und in ein unvordenkliches Bewusst-
sein der Transzendenz einging. Jaspers trat für ein radikales Denken ein, dem gleich-
wohl jeder moderne Zug abging, da es von den großen Philosophen aller Zeiten prak-
tiziert worden war. Nur bei ihnen fand man »jenes Vor-nichts-Zurückschrecken der
Gedanken, durch das sie, was auch immer sie gewinnen, es auch wieder überschrei-
ten, um der Wahrheit sich zu nähern und sie durch keine Vorwegnahme und Endgül-
tigkeit zu verschleiern«.27
Doch inwiefern war dieses philosophische Denken ein Glaube? Uns, die wir die ein-
schlägigen Schriften kennen, die noch folgen sollten, mag die Antwort leichter fallen.
Die Zeitgenossen hatten es da schwerer. Sie mussten sich mit dem spärlichen Hinweis
begnügen, das philosophische Denken sei ein Glaube, weil es im Vertrauen auf Erfül-
lung den kontemplativen »Weg des Gottsuchens«28 einschlage. Um welchen Gott es
sich dabei handelte, um den Gott der Philosophen oder um den Gott der Bibel, blieb
unklar. Die beiläufige Bemerkung, der Philosophierende habe »ein positives Verhält-
nis zur eigenen religiösen Herkunft«,29 mochte ein Hinweis sein, angesichts seiner Un-
bestimmtheit aber auch nicht mehr. Weiter gehende Bestimmungen wehrte Jaspers
ausdrücklich ab: »Was der eigentümlich philosophische Glaube sei, ist [...] nicht in ob-
jektiver Bestimmtheit auszusprechen, sondern nur in der zuletzt indirekten Mitteilung
des gesamten philosophischen Werks.«30 Damit gab er zu verstehen, dass der von ihm
vorgezeichnete Ausweg aus der geistigen, durch Nietzsche und Kierkegaard bestimm-
ten Situation seiner Zeit zunächst nicht mehr sein konnte als lediglich ein vorläufiger
26 K. Jaspers: Vernunft und Existenz, 130.
27 Ebd., 138-139.
28 Ebd., 140.
29 Ebd., 142.
30 Ebd., 143.
Einleitung des Herausgebers
Ausweg aus der durch Nietzsche und Kierkegaard erschlossenen Situation des Men-
schen zwischen Gottlosigkeit und Offenbarungsglauben, Nihilismus und Theismus.
Angesichts dieser zu kurz greifenden Alternative müsse das Philosophieren »sich des
Grundes des eigenen eigentlich philosophischen Glaubens neu vergewissern«.26 Neu
vergewissern: Das hieß, dass es den philosophischen Glauben schon gab, und zwar
so lange schon, wie es das philosophische Denken gab, dass er aber, wie gerade das
Denken der beiden maßgeblichen Philosophen des Zeitalters deutlich machte, von
der Philosophie vergessen worden war. Es galt, die geistige Situation der Zeit, jene
fundamentale Brüchigkeit der geistigen Überlieferung, die Kierkegaard und Nietz-
sche so schonungslos aufgedeckt hatten, als Herausforderung für das Denken anzu-
nehmen. Anstelle einer unendlichen Reflexion, die alle Gehalte auflöste, aber keine
neuen schuf, vielmehr nur durch einen gewaltsamen Sprung auf einen transzenden-
ten Standpunkt außerhalb seiner selbst überwunden werden konnte, kam es darauf an,
das Denken durch formales Transzendieren aller möglichen Standpunkte bis zu dem
Ende zu führen, in dem es sich von selbst aufhob und in ein unvordenkliches Bewusst-
sein der Transzendenz einging. Jaspers trat für ein radikales Denken ein, dem gleich-
wohl jeder moderne Zug abging, da es von den großen Philosophen aller Zeiten prak-
tiziert worden war. Nur bei ihnen fand man »jenes Vor-nichts-Zurückschrecken der
Gedanken, durch das sie, was auch immer sie gewinnen, es auch wieder überschrei-
ten, um der Wahrheit sich zu nähern und sie durch keine Vorwegnahme und Endgül-
tigkeit zu verschleiern«.27
Doch inwiefern war dieses philosophische Denken ein Glaube? Uns, die wir die ein-
schlägigen Schriften kennen, die noch folgen sollten, mag die Antwort leichter fallen.
Die Zeitgenossen hatten es da schwerer. Sie mussten sich mit dem spärlichen Hinweis
begnügen, das philosophische Denken sei ein Glaube, weil es im Vertrauen auf Erfül-
lung den kontemplativen »Weg des Gottsuchens«28 einschlage. Um welchen Gott es
sich dabei handelte, um den Gott der Philosophen oder um den Gott der Bibel, blieb
unklar. Die beiläufige Bemerkung, der Philosophierende habe »ein positives Verhält-
nis zur eigenen religiösen Herkunft«,29 mochte ein Hinweis sein, angesichts seiner Un-
bestimmtheit aber auch nicht mehr. Weiter gehende Bestimmungen wehrte Jaspers
ausdrücklich ab: »Was der eigentümlich philosophische Glaube sei, ist [...] nicht in ob-
jektiver Bestimmtheit auszusprechen, sondern nur in der zuletzt indirekten Mitteilung
des gesamten philosophischen Werks.«30 Damit gab er zu verstehen, dass der von ihm
vorgezeichnete Ausweg aus der geistigen, durch Nietzsche und Kierkegaard bestimm-
ten Situation seiner Zeit zunächst nicht mehr sein konnte als lediglich ein vorläufiger
26 K. Jaspers: Vernunft und Existenz, 130.
27 Ebd., 138-139.
28 Ebd., 140.
29 Ebd., 142.
30 Ebd., 143.