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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0022
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Einleitung des Herausgebers

XXI

gende Redensart. Als sie die beiden einmal in Heidelberg besuchte, schrieb sie ihrem
Mann nach Hause: »Gertrud ist so frisch und jugendlich, daß ich in meinem Herzen
Gott danke, daß Kally diese Lebensgefährtin hat.«67 Ähnlich hieß es, als kurz vor dem
Ende des Ersten Weltkriegs die Heimkehr des jüngeren Sohnes Enno bevorstand: »Ich
will unter allen Umständen fröhlich nach dem Kriege sein, Gott danken, daß wir alle
bei einander sind u. das Geld wird für uns alle noch zu bescheidenem Leben reichen.«68
Nimmt man die Erziehung in Vorschule und Elternhaus zusammen, lernte Jaspers
eine Religion kennen, wie sie für die Gebildeten unter ihren Verächtern wohl nicht
untypisch war. Theologisch konnte man sie als Unglaube abtun, philosophisch er-
schloss sie die Möglichkeit eines Glaubens, der sich seiner selbst erst noch vergewis-
sern musste. Solange die Gewissheit, dass Gott ist, auf das Familienleben beschränkt
und in der Person der Mutter verkörpert war, blieb der philosophische Glaube >subjek-
tiv<, da er über das Gefühl der Geborgenheit in einem sinnvollen Ganzen, über das Be-
wusstsein des Zusammenhalts aller Dinge nicht hinauskam. Damit er >objektiv< wer-
den konnte, musste die Gewissheit, dass Gott ist, durch philosophisches Denken
eingeholt werden. Bereits die Philosophie war diesem Programm verpflichtet. Jaspers
charakterisierte hier das philosophische Denken als jenes formale Transzendieren, das
ab den Groninger Vorlesungen Vernunft und Existenz den Kern seiner Lehre vom Um-
greifenden bildete.69 Bezugspunkt dieser Denkbewegung war die Transzendenz als »das
Umgreifende alles Umgreifenden«,70 doch sie war, wie Jaspers nicht müde wurde zu
betonen, kein Ziel, das durch methodisch kontrollierte Schritte jemals erreicht wer-
den könnte. »In einer Welt, die in allem fragwürdig geworden ist, suchen wir philoso-
phierend Richtung zu halten, ohne das Ziel zu kennen.«71 Schon dass Jaspers von Tran-
szendenz sprach und nicht von Gott,72 brachte dieses eigentümlich gebrochene
Zielbewusstsein zum Ausdruck. Gott war damit in die Ferne gerückt und dem denken-
den Zugriff entzogen. Ob er in der Erfahrung des Sichgeschenktwerdens nahekam, war
ungewiss: »Ich kann mir ausbleiben und durch keinen Willen mich mir selber
schenken.«73 Für ein »Sichgewinnen im Sichgeschenktwerden«74 gab es keine Garan-
tie. So blieb das philosophische Denken ein Wagnis, und der philosophische Glaube

67 H. Jaspers an K. Jaspers senior, n. Mai 1916, DLA, A: Jaspers.
68 H. Jaspers an G. Jaspers, 3. Februar 1918, ebd.
69 Vgl. K. Jaspers: Philosophie III, 36-67.
70 K. Jaspers: Von der Wahrheit, 110.
71 K. Jaspers: Philosophie I, VII.
72 Vgl. die diesbezügliche Unterscheidung von »mythischer Ausdrucksweise« und »philosophischer
Sprache« in: K. Jaspers: Philosophie II, 1. - Jaspers soll in der Philosophie zuerst »Gott« für »Transzen-
denz« gebraucht, auf Anraten seiner Frau aber den Namen gestrichen haben, da man ihn nicht
vergeblich aussprechen dürfe. Vgl. X. Tilliette: »Begegnung mit Karl Jaspers«, in: K. Piper, H. Sa-
ner (Hg.): Erinnerungen an Karl Jaspers, München, Zürich 1974,269-280, hier: 278.
73 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 22.
74 Ebd., 25.
 
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