XXII
Einleitung des Herausgebers
war die Entschlossenheit, es im Vertrauen auf den transzendenten Gott einzugehen
und auszuhalten.
Wenn Jaspers im autobiographischen Rückblick schrieb, die Philosophie im Sinne
einer »ursprünglichen Glaubensmacht« sei für ihn »immer selbstverständlich«
gewesen,75 also auch schon in jenen frühen Jahren, in denen er den Weg konsequen-
ten philosophischen Denkens noch längst nicht beschritten hatte, war das keine Pro-
jektion in die Vergangenheit, sondern Ausdruck davon, dass es der philosophische
Glaube hinsichtlich seines lebentragenden Ernstes mit dem religiösen Glauben durch-
aus aufnehmen konnte.
Jaspers hat einmal beiläufig erwähnt, dass er die Bibel »nach der langen Unterbre-
chung seit der Schulzeit erst in den Jahren des Nationalsozialismus«76 wieder gelesen
und dann sogar als »Trost«77 empfunden hatte. Der Glaube, dass Gott ist, war also auch
nach über Vier jahrzehnten nicht erloschen. Wie sehr er trug, entdeckte Jaspers in der
für ihn und seine jüdische Frau lebensbedrohlichen Situation am Ende der NS-Zeit.
Um einer möglichen Deportation zuvorzukommen, erwog das Ehepaar den gemein-
samen Freitod. Jaspers erörterte die Frage, ob und gegebenenfalls wann ein solcher
Schritt legitim sei, mit Blick auf Gottes Willen.78 Es ist beeindruckend zu sehen, wie
hier philosophischer Glaube und formales Transzendieren ineinandergreifen. Wäh-
rend die Frage ohne die Gewissheit, dass Gott ist, nicht sinnvoll gestellt werden kann,
erfordert ihre Beantwortung das Durchdenken aller Gründe, der philosophischen wie
der theologischen, bis zu dem Punkt, wo die Freiheit der Selbstüberzeugung mit der
Demut der Selbstbescheidung zusammenfällt.79
Mit der biblischen Religion erschloss Jaspers dem philosophischen Glauben nicht
einfach eine weitere, die griechische Philosophie ergänzende Quelle. Da sie eine ganz
andere Autorität in der Welt besaß, gewann der philosophische Glaube durch sie den
Charakter einer existentiellen Daseinsmacht. Das war keine objektive Macht, wie sie
von den verschiedenen Konfessionen ausging, die das Erscheinungsbild der biblischen
Religion bestimmten, denn an seinem Dasein in der Welt hatte sich nichts geändert.
Nach wie vor fehlten dem philosophischen Glauben die schützende Geborgenheit
einer Institution und der feste Halt eines Bekenntnisses. Weil er sich seiner selbst im-
mer wieder neu vergewissern musste, wurde er kein Besitz, auf den man sich berufen
konnte. Im Vergleich mit den biblischen Offenbarungsreligionen, die nicht umsonst
den Rang von Weltreligionen genossen, war seine Verbreitung gering. Und doch ent-
faltete auch der philosophische Glaube eine in die Welt hineinwirkende Macht. Da er
75 K. Jaspers: Philosophische Autobiographie, 116.
76 K. Jaspers: »Antwort«, 830.
77 K. Jaspers: »Von der biblischen Religion«, 407.
78 Vgl. K. Jaspers: »Tagebuch 1939-1942«, 147,157,160-162.
79 Vgl. zur existentiellen Selbstverständigung in autobiographischen Texten K. Jaspers: Einführung
in die Philosophie, 66.
Einleitung des Herausgebers
war die Entschlossenheit, es im Vertrauen auf den transzendenten Gott einzugehen
und auszuhalten.
Wenn Jaspers im autobiographischen Rückblick schrieb, die Philosophie im Sinne
einer »ursprünglichen Glaubensmacht« sei für ihn »immer selbstverständlich«
gewesen,75 also auch schon in jenen frühen Jahren, in denen er den Weg konsequen-
ten philosophischen Denkens noch längst nicht beschritten hatte, war das keine Pro-
jektion in die Vergangenheit, sondern Ausdruck davon, dass es der philosophische
Glaube hinsichtlich seines lebentragenden Ernstes mit dem religiösen Glauben durch-
aus aufnehmen konnte.
Jaspers hat einmal beiläufig erwähnt, dass er die Bibel »nach der langen Unterbre-
chung seit der Schulzeit erst in den Jahren des Nationalsozialismus«76 wieder gelesen
und dann sogar als »Trost«77 empfunden hatte. Der Glaube, dass Gott ist, war also auch
nach über Vier jahrzehnten nicht erloschen. Wie sehr er trug, entdeckte Jaspers in der
für ihn und seine jüdische Frau lebensbedrohlichen Situation am Ende der NS-Zeit.
Um einer möglichen Deportation zuvorzukommen, erwog das Ehepaar den gemein-
samen Freitod. Jaspers erörterte die Frage, ob und gegebenenfalls wann ein solcher
Schritt legitim sei, mit Blick auf Gottes Willen.78 Es ist beeindruckend zu sehen, wie
hier philosophischer Glaube und formales Transzendieren ineinandergreifen. Wäh-
rend die Frage ohne die Gewissheit, dass Gott ist, nicht sinnvoll gestellt werden kann,
erfordert ihre Beantwortung das Durchdenken aller Gründe, der philosophischen wie
der theologischen, bis zu dem Punkt, wo die Freiheit der Selbstüberzeugung mit der
Demut der Selbstbescheidung zusammenfällt.79
Mit der biblischen Religion erschloss Jaspers dem philosophischen Glauben nicht
einfach eine weitere, die griechische Philosophie ergänzende Quelle. Da sie eine ganz
andere Autorität in der Welt besaß, gewann der philosophische Glaube durch sie den
Charakter einer existentiellen Daseinsmacht. Das war keine objektive Macht, wie sie
von den verschiedenen Konfessionen ausging, die das Erscheinungsbild der biblischen
Religion bestimmten, denn an seinem Dasein in der Welt hatte sich nichts geändert.
Nach wie vor fehlten dem philosophischen Glauben die schützende Geborgenheit
einer Institution und der feste Halt eines Bekenntnisses. Weil er sich seiner selbst im-
mer wieder neu vergewissern musste, wurde er kein Besitz, auf den man sich berufen
konnte. Im Vergleich mit den biblischen Offenbarungsreligionen, die nicht umsonst
den Rang von Weltreligionen genossen, war seine Verbreitung gering. Und doch ent-
faltete auch der philosophische Glaube eine in die Welt hineinwirkende Macht. Da er
75 K. Jaspers: Philosophische Autobiographie, 116.
76 K. Jaspers: »Antwort«, 830.
77 K. Jaspers: »Von der biblischen Religion«, 407.
78 Vgl. K. Jaspers: »Tagebuch 1939-1942«, 147,157,160-162.
79 Vgl. zur existentiellen Selbstverständigung in autobiographischen Texten K. Jaspers: Einführung
in die Philosophie, 66.