Einleitung des Herausgebers
XXIII
wie der konfessionelle Glaube seine Gehalte und seine Gewissheit aus der biblischen
Religion empfing, wurde er für eine wachsende Zahl von Menschen attraktiv, die im
konfessionellen Glauben kaum noch Antwort auf ihre Fragen fand. Jaspers dachte da-
bei vor allem an die nachwachsende Generation: »Heute ist mit der großen Masse der
konfessionell nicht gläubigen Jugend zu rechnen. Ob man das beklagt oder nicht, für
diese Jugend ist die Philosophie die einzige Erhellung ihrer Glaubensmöglichkeiten
und das Denken, in dem sie sich ihrer als unbedingt anerkannten Bindungen bewußt
werden kann.«80 Dass der philosophische Glaube eine Sache von Einzelnen war, hieß
nicht, dass er eine Sache von wenigen bleiben musste. Dass er keine Glaubensgemein-
schaft begründete, erhöhte die Bereitschaft zur Verständigung. Deshalb konnte Jas-
pers ihn als »Glauben an Kommunikation«81 bezeichnen. Hier, in der Kommunika-
tion, hatte er sich auch zu bewähren. Ob er seine Macht entfaltete, hing maßgeblich
davon ab, wie er seine Bindung an die biblische Religion zur Sprache brachte. Jeden-
falls würde es eine Macht sein, die nicht in Gewalt umschlug, da dem philosophischen
Glauben der Ausschließlichkeitsanspruch eines Offenbarungsglaubens und der Selbst-
behauptungswille einer Institution fehlten.
2. Philosophischer Glaube und Periechontologie
Seitdem Jaspers in den Groninger Vorlesungen Vernunft und Existenz den Begriff des
philosophischen Glaubens eingeführt hatte, nahm auch seine Lehre vom Umgreifen-
den, die Periechontologie, kontinuierlich Gestalt an.82 Diese Koinzidenz war kein Zu-
fah. Beide Entwicklungen standen vielmehr in einem inneren und darum notwendi-
gen Wechselverhältnis. Wer die Religion unwiederbringlich verloren hatte, aber unter
dem Verlust litt und ihn zu kompensieren suchte, war bei der philosophischen Verge-
wisserung des transzendenten Gottes auf ein formales Transzendieren angewiesen, das
in der Lehre vom Umgreifenden systematisch entfaltet wurde.
In der Gewissheit, dass Gott ist, liegt die Tendenz, Gott als ein Seiendes zu verge-
genständlichen. »Wer möchte nicht im innersten Herzen, dass der leibhaftige Gott zu
ihm wie zu einem Kinde spräche«, hatte Jaspers gefragt. Wenn er vor diesem Hinter-
grund den leibhaftigen Gott zu einer ungegenständlichen Transzendenz entfernte,
dürfte das kaum der Sorge vor einem drohenden Rückfall in kindliche Vorstellungs-
muster entsprungen sein. Der Blick war vielmehr nach vorn gerichtet, um durch for-
males Transzendieren über jede Leibhaftigkeit hinaus dorthin zu gelangen, wo ein
göttlicher Zuspruch in verwandelter Form, als ein Entgegenkommen aus der Transzen-
80 K. Jaspers: Philosophische Autobiographie, 118.
81 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 46.
82 Die Anfänge der Periechontologie gehen auf die Logikvorlesung des Wintersemesters 1931/32 zu-
rück, als Jaspers den Begriff des Umgreifenden entwickelte. Vgl. K. Jaspers: Philosophische Auto-
biographie, 86.
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wie der konfessionelle Glaube seine Gehalte und seine Gewissheit aus der biblischen
Religion empfing, wurde er für eine wachsende Zahl von Menschen attraktiv, die im
konfessionellen Glauben kaum noch Antwort auf ihre Fragen fand. Jaspers dachte da-
bei vor allem an die nachwachsende Generation: »Heute ist mit der großen Masse der
konfessionell nicht gläubigen Jugend zu rechnen. Ob man das beklagt oder nicht, für
diese Jugend ist die Philosophie die einzige Erhellung ihrer Glaubensmöglichkeiten
und das Denken, in dem sie sich ihrer als unbedingt anerkannten Bindungen bewußt
werden kann.«80 Dass der philosophische Glaube eine Sache von Einzelnen war, hieß
nicht, dass er eine Sache von wenigen bleiben musste. Dass er keine Glaubensgemein-
schaft begründete, erhöhte die Bereitschaft zur Verständigung. Deshalb konnte Jas-
pers ihn als »Glauben an Kommunikation«81 bezeichnen. Hier, in der Kommunika-
tion, hatte er sich auch zu bewähren. Ob er seine Macht entfaltete, hing maßgeblich
davon ab, wie er seine Bindung an die biblische Religion zur Sprache brachte. Jeden-
falls würde es eine Macht sein, die nicht in Gewalt umschlug, da dem philosophischen
Glauben der Ausschließlichkeitsanspruch eines Offenbarungsglaubens und der Selbst-
behauptungswille einer Institution fehlten.
2. Philosophischer Glaube und Periechontologie
Seitdem Jaspers in den Groninger Vorlesungen Vernunft und Existenz den Begriff des
philosophischen Glaubens eingeführt hatte, nahm auch seine Lehre vom Umgreifen-
den, die Periechontologie, kontinuierlich Gestalt an.82 Diese Koinzidenz war kein Zu-
fah. Beide Entwicklungen standen vielmehr in einem inneren und darum notwendi-
gen Wechselverhältnis. Wer die Religion unwiederbringlich verloren hatte, aber unter
dem Verlust litt und ihn zu kompensieren suchte, war bei der philosophischen Verge-
wisserung des transzendenten Gottes auf ein formales Transzendieren angewiesen, das
in der Lehre vom Umgreifenden systematisch entfaltet wurde.
In der Gewissheit, dass Gott ist, liegt die Tendenz, Gott als ein Seiendes zu verge-
genständlichen. »Wer möchte nicht im innersten Herzen, dass der leibhaftige Gott zu
ihm wie zu einem Kinde spräche«, hatte Jaspers gefragt. Wenn er vor diesem Hinter-
grund den leibhaftigen Gott zu einer ungegenständlichen Transzendenz entfernte,
dürfte das kaum der Sorge vor einem drohenden Rückfall in kindliche Vorstellungs-
muster entsprungen sein. Der Blick war vielmehr nach vorn gerichtet, um durch for-
males Transzendieren über jede Leibhaftigkeit hinaus dorthin zu gelangen, wo ein
göttlicher Zuspruch in verwandelter Form, als ein Entgegenkommen aus der Transzen-
80 K. Jaspers: Philosophische Autobiographie, 118.
81 K. Jaspers: Der philosophische Glaube, 46.
82 Die Anfänge der Periechontologie gehen auf die Logikvorlesung des Wintersemesters 1931/32 zu-
rück, als Jaspers den Begriff des Umgreifenden entwickelte. Vgl. K. Jaspers: Philosophische Auto-
biographie, 86.