Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0138
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

37

Dies Ziel ist als erreicht für uns nicht denkbar und nicht vorstellbar. Es vorwegneh-
mend zu behaupten, zerstört es.
Aber, daß wir den Traum des Einen entwerfen und dabei scheitern, hebt nicht auf,
daß er geträumt wird, und daß er für uns ein Gewicht hat, als ob sein Gegenstand wirk-
lich, er selber ein Wahrtraum wäre. Da diese Wirklichkeit aber doch nur im Traum be-
steht, haben wir in uns ein anderes: die Vernunft, die uns ständig bewegt, das Band zu
finden, und die uns beschwingt, es zu verwirklichen, im kleinsten Umkreis dessen, in
dem wir da sind, im weitesten Horizont dessen, was wir als möglich denken und da-
durch fördern können.
Ist die Transzendenz das Umgreifende alles Umgreifenden, die Existenz der Boden,
so die Vernunft das in der Zeit sich verwirklichende Band. Sie setzt sich dem Zerfallen
entgegen. Was immer uns als getrennt entgegenkommt, und was wir im Denken tren-
nen, und was sich in radikalen Unvereinbarkeiten abzustoßen scheint, das soll auf-
einander bezogen werden. Wir sehen unsere Aufgabe, die Aufgabe der Philosophie
darin, auf den Weg des Verbindens, der Kommunikation zu gelangen. Alle Weisen des
Umgreifenden, im Sein selbst umgriffen von der Transzendenz, werden in uns umgrif-
fen vom Band aller Weisen des Umgreifenden, der Vernunft.
3) In der Philosophie ist das Höchste die Vernunft, die doch für sich allein nichts
ist.
In jeder Weise des Umgreifenden treten Kräfte auf, die zum Durchbruch drängen,
als ob Fesseln wären, in deren Zerreißen erst die Wahrheit sich zeige.
Die Vernunft aber ist das umgreifende Band, das, was auseinanderfallen will, uns
vereinigen läßt. Sie weist den Weg, auf dem wir bauend verwirklichen.
Sie ist, wie in der Transzendenz das Umgreifende alles Umgreifenden ist, so in der
Immanenz das, was allem voraus ist, das sich verabsolutieren möchte. Sie läßt kein ab-
solutes Auseinanderfallen, kein Zerrissenbleiben, das endgültig wäre, zu. Sie will nicht
dulden, daß etwas unwiderruflich durchbräche, aus dem Sein herausfiele, ins Boden-
lose versänke und verschwände.
4) Das aber, was jeden Durchbruch wieder auffangen kann, ist für uns keine gege-
bene Ordnung, die als die ewig feststehende erkannt werden könnte. Es ist kein Ge-
bäude, das, wie wir es auch fänden, doch immer wieder zu sprengen wäre. Es ist kein
System, das, wie es auch konstruiert würde, doch überschritten werden müßte. Für
uns, in der Zeit, in allen Weisen des Umgreifenden, ist die Vernunft werdend, aber so,
daß sie sich in einer Ewigkeit, die ist, zu finden meint.
Alle möglichen und wirklichen Standpunkte, auch das Vernunftlose und Ver-
nunftwidrige, gewinnen gleichsam ihren Ort in dem Raum, der selber kein Standpunkt
mehr ist.
3) Wie ist denn im Umgreifenden der Vernunft das Subjekt-Objekt-Verhältnis? Was
ist hier Subjekt, was Objekt in der Spaltung? Die Antwort muß sein: Hier ist die Struk-
tur grundsätzlich anders als in allen Weisen des Umgreifenden. Die Vernunft tritt in

35
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften