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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0156
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

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in Rangordnungen der Nähe und Ferne zur Transzendenz. Die Sprache der Chiffern ist
gegenwärtig in praktisch erhellender Wirksamkeit und in kontemplativer Besinnung.
Der Kampf ist also ein zweifacher: erstens um die Reinheit der Chiffernwelt gegen
ihre falsche Realisierung, zweitens innerhalb der Chiffernwelt von Chiffer gegen Chif-
fer. Der Kampf geht fort in der Überlieferung der Chiffern. Sie werden verstanden oder
gar nicht mehr gehört, sie werden angeeignet oder abgestoßen im Erfahren des Anrufs,
der in ihnen liegt.
Ist der Offenbarungsglaube unumgänglich gebunden an die Verkehrung von Chif-
fernsprache in Realität? Der philosophische Glaube kann es nicht anders sehen. Aber
er hat eine Scheu, trotz dieser ihm unaus| weichlich erscheinenden Einsicht sie für end- 53
gültig und absolut zu halten. Wenn er auch nicht anders sehen kann, sucht er doch
ständig die Äußerungen, Erscheinungen, Folgen des Offenbarungsglaubens mit offen
bleibendem Auge wieder und wieder zu befragen.

a. Die Auffassung des Offenbarungsglaubens vom Philosophieren her
Offenbarung hat, von außen gesehen, mehrere Gestalten:
1. Die Propheten verkündeten, was Gott ihnen sagt und durch sie fordert.
2. Kirchen und Priester erklärten Texte für heilig und für inspiriert und für das Wort
Gottes. Durch ihren Ursprung sind sie von allem anderen Schrifttum grundsätzlich zu
unterscheiden.
3. Apostel bezeugten, daß Gott in Christus auf Erden erschienen, gekreuzigt und
auferstanden sei. Sie bezeugen das Heilsgeschehen, aber nicht durch Angabe nachprüf-
barer historischer Tatsachen. Vielmehr fallen ihnen historische und geglaubte Tat-
sachen, empirische Geschichte und Heilsgeschehen in eins zusammen.
Punkt 1 und 2 sind Juden und Christen gemeinsam. Punkt 3 ist spezifisch christlich.
Die drei Weisen der Offenbarung sind Sache des Glaubens. Die kritische Auffassung
möchte sie sich deutlicher machen. Dann kann sie - für den Glaubenden wie für den
Nichtglaubenden - umso entschiedener den Sprung zum Glauben wahrnehmen.
Denn der Glaube meint etwas radikal Anderes als das, was ein kritischer Zweifel etwa
übrigläßt. Diese Kritik ist in den drei Fällen verschieden:
Zu 1. Die Propheten bezeugen, daß sie Gottes Stimme gehört haben. Die Anderen
glauben, daß den Propheten von Gott kundgeworden sei, was sie sagen. Die Prophe-
ten erfahren selber, die Offenbarungsgläubigen glauben ihnen. Die Propheten kön-
nen nicht zweifeln an der Unmittelbarkeit ihrer Erfahrung. Die Anderen hören von ih-
nen, gläubig oder ungläubig. Der Glaube an die Offenbarung der Propheten ist daher
nicht von dem Charakter der den Propheten selber zuteil gewordenen Offenbarung.
In der Tat ist die Erscheinung der Propheten auch für den, der nicht die Offenba-
rung glaubt, von gewaltigem Eindruck: Sie haben sich wirklich von Gott überwältigt
gefühlt. Viele leisteten ihrer Berufung Widerstand. Die Last war zu groß, der Schrecken
 
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