Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0158
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

57

nicht gesandt werden? ... So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber
durch das Wort Gottes«?45
| Die Apostel stehen in Analogie zu den Propheten: aber sie verkünden nicht die
Offenbarung von Gottes Willen und Wort, die ihnen zuteil wurde, sondern sie ver-
künden den Auferstandenen, den Gott, der Mensch geworden ist. Sie beziehen sich
nicht auf Gott, sondern auf Christus. Christus ist für sie dasselbe wie Gott. Das ist neu.
Jesus als Mensch steht in der Reihe der Propheten: er verkündigt das Reich Gottes, das
Weitende, das Ethos der Bergpredigt und eine menschliche Grundverfassung im
Gottesglauben, die nicht so radikal neu ist, wie die Verkündung Christi durch die
Apostel.
In der Zeit kritischer Geschichtsforschung wird das Vorliegen apostolischer Bezeu-
gung, die als Glaubensbezeugung unkritisch ineins mit dem Bezeugen historischer
Tatsachen gemeint war, als historisches Zeugnis fragwürdig. Wenn man versucht, mit
den historischen Methoden, raffiniert wie Untersuchungsrichter, herauszubekom-
men, was als historisch tatsächlich mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit
gelten darf, so hat man das, worauf es für den Offenbarungsglauben ankommt und
was nur für diesen Glauben da ist, verlassen. Kierkegaard zog als erster die Konsequenz:
die historische Forschung ist für den Glauben gleichgültig, ihre Ergebnisse sind für ihn
belanglos, die Beschäftigung mit ihr zieht eher vom Glauben ab, als daß sie zu ihm
hinführt.47 Nicht das historisch fragwürdige Zeugnis, sondern die Bezeugung des Glau-
bens ist zu hören; durch sie spricht die Offenbarung. -
Für alle drei Weisen der Offenbarung muß eine in der Welt hinzukommende In-
stanz entscheiden: wer echter Prophet war, welche Schriften inspirierte sind, wer Apo-
stel mit gültigem Zeugnis war. Der Offenbarungsglaube muß dieser Instanz glauben.
Sonst hat er keinen Halt. Diese Instanz sind am Ende die Kirchen. Das hat Augustin
mit jener schon oben zitierten großartigen Eindeutigkeit ausgesprochen: Ich würde
dem Evangelium keinen Glauben schenken, wenn die katholische Kirche mich nicht
dazu bewegte.
Wenn aber diese Instanz nicht geglaubt wird, dann hört die Aussonderung der hei-
ligen Schriften aus dem übrigen Schrifttum auf. Dann sind sie hohes Schrifttum wie
anderes. Daran kann, was Jahrtausenden - eine wie kurze Zeit! - selbstverständlich
war, nichts ändern. Daß Schriften als kanonisch ausgesondert wurden, ist dann selber
nur eine historische Tatsache, deren Entstehung sich erforschen läßt und die ihre
Parallelen in China und Indien hat. Aber diese Schriften gewinnen durch die Ausson-
derung der kanonischen faktisch nur für den Offenbarungsgläubigen, nicht für die
übrigen Menschen einen anderen Rang.

55

Römer io, i4ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften