Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0160
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung 59
wir selbst. - Wir deuten mit Kant: die göttliche Weisheit ist nicht minder bewunde-
rungswürdig in dem, was sie uns schenkt, als in dem, was sie uns versagt; denn würde
Gott in seiner Majestät vor uns stehen, so würden wir Marionetten im Gehorsam und
blieben nicht frei als das, als was Gott uns gewollt hat.381
Wir sehen, daß der in der Offenbarungsrealität sich zeigende Gott, am Maßstab des
verborgenen Gottes, für uns nicht Gott selbst sein kann. Nicht Gottesleugnung wen-
det sich gegen Gottesglauben, sondern der verborgene Gott gegen den offenbarten.
Das philosophische Bewußtsein von der Wirklichkeit der Transzendenz wendet sich
gegen die Realität der Offenbarung.
b. Die Auffassung des philosophischen Glaubens vom Offenbarungsglauben her
1. Der Vorwurf: Vom Offenbarungsglauben her gesehen kann ein philosophischer
Glaube gar kein Glaube an Gott sein. Bultmann schreibt? »In der Tat, Gott ist nur ent-
weder hier oder dort richtig verstanden, und vom christlichen Glauben aus ist der hu-
manistische Gottesglaube als Irrtum, als Wahn zu bezeichnen, - sofern er Glaube an
Gott sein will.«587 Ich zitiere diesen Theologen, einen der persönlich tolerantesten,
dem man am allerwenigsten den Hochmut, der bei Theologen vorkommt, zuschrei-
ben kann, um zu zeigen, daß es in der Natur der Sache, im Offenbarungsglauben sel-
ber liegt, so denken zu müssen, daß sogar ein solcher Mann davon überwältigt wird.588
Es war der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nicht der Gott der Philosophen, schrieb
Pascal nach seinem nächtlichen mystischen Erlebnis.195
Daher der ständig wiederholte Vorwurf: Das Denken der Transzendenz ist eine nur
spekulative Erfahrung. Es bleibt blaß in seiner Abstraktheit. Es ist ohnmächtig in der
bloßen Meditation. Denn es ist unwirklich, weil auf Unwirkliches gerichtet. Wir hören
weiter: Dem Offenbarungsglauben ist Gott persönlich. Er steht gegenüber als das Du,
mit dem im Gebet die Kommunikation, von Person zu Person möglich ist (während
der philosophische Glaube die Persönlichkeit Gottes nur als Chiffer kennt dessen, was
Ursprung der Persönlichkeit im Menschen, aber selbst unendlich mehr ist als Persön-
lichkeit, deren Gestalt ihn beschränken würde). Der offenbarte Gott hilft in der Welt;
er wirkt durch Eingriffe; er ist Ursache des mir erwünschten, heilvollen Geschehens
und ist mir Garantie, daß das, was für mich nur wie Unheil aussieht, doch zum Heile
ist. Seine Gnade erfahre ich in seinen Handlungen, die mir in meinem Inneren als reale
fühlbar werden (während der philosophische Glaube die Vorsehung als Chiffer denkt,
deren Deutung im einzelnen geschichtlichen Vorgang ihm rational widersinnig und
widerlegbar scheint, aber doch, ohne Wißbarkeit und ohne Realisierung, als Chiffer
das sich aufdrängende Geheimnis erleuchten soll). Für den Offenbarungs|glauben ist 58
Gottes Offenbarungsakt das erste; nicht wir suchen Gott. Für den Offenbarungsglau-

Studium generale Jg. 1, S. 74.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften