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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0180
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

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gehren hat immer wieder im Abendland Christus glauben lassen. Es hat in Asien Bud-
dha und Konfuzius im Laufe der Zeit zu inkarnierten Göttern werden lassen. - 2. Das
Entweder-Oder ist für Kierkegaard keine absolute Alternative, sondern läßt für ihn eine
dritte Möglichkeit: die des »Unmenschen«. Als Unmensch wird angesprochen, wer an
dem teilnimmt, was von jeher in der Vernunft philosophischen Glaubens sich grün-
dete und eigentlich menschlich war: Ein Mensch, der sich für Gott ausgibt (was Jesus
nicht getan hat), gilt, wo immer er auf tritt, als wahnsinnig, ist nicht Gegenstand der
Empörung, sondern der Fürsorge. -3. »Mit dabei sein, ihn totzuschlagen«, diese Chif-
fer in der Kierkegaardschen Alternative ist ungemein sprechend. | Zwar gilt sie nicht für
den, der den Glauben an die Menschwerdung nicht teilt, oder vielmehr: dieser nimmt
sie so einfach nicht an. Aber sie wirft ein unheimliches Licht vielleicht in Grundbe-
dingungen unseres Daseins. Wie sind wir vielleicht ständig dabei, die Wahrheit totzu-
schlagen? Wir wollen es nicht wissen und meinen unter günstigen Lebensumständen,
es uns verschleiern zu können. Hier ist vielleicht die Wirklichkeit des Juden Jesus von
Nazareth unvergleichlich erleuchtend als Chiffer seines Gottesvolkes und der Mensch-
heit in ihrem transzendenten Grunde. Ich gehe hier nicht darauf ein.
Religionsgeschichtlich gibt es die Ineinssetzung Gottes mit einzelnen Menschen
in allen großen Kulturen in mannigfachen Gestalten. Das spezifisch Christliche ist,
daß Gott nur dieses eine Mal in einen Menschen inkarniert geglaubt und daß diese
Inkarnation zur Mitte der Auffassung von Gott, Welt und Mensch wird.
Die Spannung im Denken der Inkarnation ist die zwischen geschichtlicher Reali-
tät als Offenbarung und allgemeiner Einsicht als Chiffer. In der Realität der Offenba-
rung verschwindet die Philosophie und bleibt nur Gehorsam und sacrificium intel-
lectus. In der allgemein gedachten und im Seinsganzen dann individualisierten
Chiffer verschwindet die Offenbarung. Was dann die Chiffer der Menschwerdung ist,
sei es etwa beim Cusanus, sei es bei Hegel, das ist nur zu erörtern zugleich mit der Chif-
fer dieser großen Metaphysiken in ihrem Seinszusammenhang im Ganzen. Diese aber
sind selber geschichtliche Gebilde für uns, die wir im Spiel mitzudenken versuchen,
aber in der Schwebe halten, vielleicht dem Cusanus nah, Hegel jedenfalls ganz fern.
3. Der Versöhnungsgedanke
Die Grundverfassung des Menschen im Dasein scheint auf entgegengesetzte Weise er-
fahren und gedacht zu werden. Die Erfahrung von Unheil kann entweder beiläufig
oder grundlegend sein. Beiläufig ist sie, wo das Sein und in ihm das Menschsein als in
ewiger Ordnung bestehend, die Herrlichkeit der Welt und Seligkeit des Menschen in
wunderbarer Harmonie vollendet gesehen werden; dann ist das Unheil vorüberge-
hende Abweichung, die bald wieder in die Ordnung zurückgebracht wird. Grundlegend
aber wird die Erfahrung, wenn Welt und Menschsein als im Grunde verdorben, als ein
sich fortzeugendes Unheil, als Grauen und Schrecken, als ausweglos gesehen werden.
Dann ist der Drang nach Erlösung aus dem Unheil maßgebend.

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