Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung 81
Der Gedanke der Erbsünde (nicht als Realisierung eines Aktes Adams und der durch
ihn allen kommenden Menschen eingeborenen Qualität) wird wahr als Chiffer eines
Nicht-in-Ordnung-Seins vor aller Bemühung | des Menschen um das Rechte. Denn der
Mensch sieht sich im Umgang mit sich selbst in Widerstände verwickelt, immer von
neuem einem von ihm doch längst erkannten Versagen trotzdem preisgegeben, so daß
er als Existenz kämpfen muß in der Spannung zwischen der Verfallenheit, die er im-
mer schon in sich vorfindet, und der Freiheit, die es ihm selbst anheimstellt, daß er
sich herausreißt und umkehrt.
Diese Chiffer verführt ihn aber gefährlich, wenn er zur Gnade in der Weise seine
Zuflucht nimmt, daß er sagt: ich bin nun einmal so, und Gnade! Gnade! ruft. Sie de-
mütigt ihn mit Recht, wenn er auf sich stolz sein will. Sie läßt ihn spüren, daß er zwar
auf sich selbst angewiesen ist, daß er aber, wenn ihm der Aufschwung durch Freiheit
gelingt, er sich selbst sich geschenkt weiß. Denn er hat erfahren, daß er sich ausblei-
ben kann. Nichts kann er von realer Gnade als faktischen Eingriff von außen und Er-
lebnis erfahren. Nichts kann er durch Objektivierung eines Heilsprozesses, der ihm
von außen zuteil wird, erwarten. Aber sogar diese Heilsgeschichte mag zu ihm als ei-
nem sinnlich-endlichen Wesen als Chiffer sprechen: sie bringt ihm näher das, was
seine ganze Kraft allein in der sich selbst geschenkten Freiheit hat und doch im Gan-
zen sich nicht allein helfen kann.
Nur soweit diese Chiffer die Freiheit selbst ermutigt und zum Äußersten ihrer Mög-
lichkeiten drängt, bleibt sie wahr. Im Augenblick aber, wo sie dem Menschen zur Ent-
spannung verhilft, er in der »Gnade« sich beruhigt, und, in der Gewißheit der Recht-
fertigung, der Erlösung und der Versöhnung durch Gott nunmehr »tapfer sündigt«,
wird die Chiffer verderblich. Dann wird die einzelne, allein greifbare Schuld gering ge-
achtet, um in der ungreifbaren Totalschuld sich zu beruhigen. Statt die Reinigung in
sich selbst zu vollziehen und zu tun, was in der Welt möglich ist, soll eine »Rechtferti-
gung durch den Glauben« gelten. Wer die Erbsünde als totale Schuld anerkennt und
als Sünder im Ganzen lebt, hat die Neigung, sich der Anerkennung der ganz bestimm-
ten Schuld hier und jetzt und deren Wiedergutmachung zu entziehen. Er wird im Ge-
wände der Demut vor Gott stolz auf seine ungeheure Glaubenstat, seine totale erbsün-
dige Schuld anerkannt zu haben. Mit Gott ist er versöhnt. Kein Mensch darf ihn wegen
der Bagatellen weltlicher Einzelschuld beurteilen.
Die Chiffer einer »Versöhnung« mit Gott hat aber trotzdem ihre große Wahrheit:
im sonst trostlosen Unheil und in dem verzweifelten Schuldbewußtsein hat sie eine
Kraft der Aufrichtung, der Neugeburt aus dem totalen Zusammenbruch, weil in der
vernichtenden Endgültigkeit wieder Möglichkeit eröffnet wird.
Etwas Unangemessenes behält die Chiffer immer dann, wenn Not, Elend, eigene
Schuld, erfahrene Ungerechtigkeit und Zustände in ihrer Schrecklichkeit verdeckt wer-
den: Wahrheit muß darauf bestehen, daß das Elend in seinem ganzen Umfang und sei-
ner ganzen Realität anerkannt werde.
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Der Gedanke der Erbsünde (nicht als Realisierung eines Aktes Adams und der durch
ihn allen kommenden Menschen eingeborenen Qualität) wird wahr als Chiffer eines
Nicht-in-Ordnung-Seins vor aller Bemühung | des Menschen um das Rechte. Denn der
Mensch sieht sich im Umgang mit sich selbst in Widerstände verwickelt, immer von
neuem einem von ihm doch längst erkannten Versagen trotzdem preisgegeben, so daß
er als Existenz kämpfen muß in der Spannung zwischen der Verfallenheit, die er im-
mer schon in sich vorfindet, und der Freiheit, die es ihm selbst anheimstellt, daß er
sich herausreißt und umkehrt.
Diese Chiffer verführt ihn aber gefährlich, wenn er zur Gnade in der Weise seine
Zuflucht nimmt, daß er sagt: ich bin nun einmal so, und Gnade! Gnade! ruft. Sie de-
mütigt ihn mit Recht, wenn er auf sich stolz sein will. Sie läßt ihn spüren, daß er zwar
auf sich selbst angewiesen ist, daß er aber, wenn ihm der Aufschwung durch Freiheit
gelingt, er sich selbst sich geschenkt weiß. Denn er hat erfahren, daß er sich ausblei-
ben kann. Nichts kann er von realer Gnade als faktischen Eingriff von außen und Er-
lebnis erfahren. Nichts kann er durch Objektivierung eines Heilsprozesses, der ihm
von außen zuteil wird, erwarten. Aber sogar diese Heilsgeschichte mag zu ihm als ei-
nem sinnlich-endlichen Wesen als Chiffer sprechen: sie bringt ihm näher das, was
seine ganze Kraft allein in der sich selbst geschenkten Freiheit hat und doch im Gan-
zen sich nicht allein helfen kann.
Nur soweit diese Chiffer die Freiheit selbst ermutigt und zum Äußersten ihrer Mög-
lichkeiten drängt, bleibt sie wahr. Im Augenblick aber, wo sie dem Menschen zur Ent-
spannung verhilft, er in der »Gnade« sich beruhigt, und, in der Gewißheit der Recht-
fertigung, der Erlösung und der Versöhnung durch Gott nunmehr »tapfer sündigt«,
wird die Chiffer verderblich. Dann wird die einzelne, allein greifbare Schuld gering ge-
achtet, um in der ungreifbaren Totalschuld sich zu beruhigen. Statt die Reinigung in
sich selbst zu vollziehen und zu tun, was in der Welt möglich ist, soll eine »Rechtferti-
gung durch den Glauben« gelten. Wer die Erbsünde als totale Schuld anerkennt und
als Sünder im Ganzen lebt, hat die Neigung, sich der Anerkennung der ganz bestimm-
ten Schuld hier und jetzt und deren Wiedergutmachung zu entziehen. Er wird im Ge-
wände der Demut vor Gott stolz auf seine ungeheure Glaubenstat, seine totale erbsün-
dige Schuld anerkannt zu haben. Mit Gott ist er versöhnt. Kein Mensch darf ihn wegen
der Bagatellen weltlicher Einzelschuld beurteilen.
Die Chiffer einer »Versöhnung« mit Gott hat aber trotzdem ihre große Wahrheit:
im sonst trostlosen Unheil und in dem verzweifelten Schuldbewußtsein hat sie eine
Kraft der Aufrichtung, der Neugeburt aus dem totalen Zusammenbruch, weil in der
vernichtenden Endgültigkeit wieder Möglichkeit eröffnet wird.
Etwas Unangemessenes behält die Chiffer immer dann, wenn Not, Elend, eigene
Schuld, erfahrene Ungerechtigkeit und Zustände in ihrer Schrecklichkeit verdeckt wer-
den: Wahrheit muß darauf bestehen, daß das Elend in seinem ganzen Umfang und sei-
ner ganzen Realität anerkannt werde.
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