82
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
81 | Die Chiffer wird unangemessen auch dann, wenn in ihr die Befreiung von Schuld
anders erwartet wird als von Sühne, guten Handlungen und verläßlicher Haltung in die-
ser Welt. Verzeihung gibt es zwischen Menschen. Es ist dieser, wenn er echt ist, wunder-
barste Akt menschlicher Kommunikation: das Unrecht wird von beiden Seiten (obgleich
es in Art und Maß noch so verschieden sein mag) anerkannt. Aus der Liebe in rückhalt-
loser Wahrhaftigkeit geboren, gründet die Verzeihung neue liebende Kommunikation.
Die Schuld bleibt in ihren Folgen (das wird in der Chiffer der ewigen Höllenstrafen er-
schreckend aber zweideutig, wahr und falsch, gedacht). Sie ist darum doch nicht abso-
lut, sondern wird aufgenommen in das Ganze, das durch den guten Willen in der Kom-
munikation entsteht. Aber sich von Gott anders verzeihen zu lassen als dadurch, daß
Menschen sich verzeihen, ist der Anfang der Flucht vor den Menschen und sich selbst.
Versöhnung durch den Glauben an den objektiven Heilsprozeß, in dem Sinne, daß
ich glaube, durch Christi Opfertod und Auferstehung erlöst zu sein, ist philosophisch
unbegreiflich, wenn sie als »Rechtfertigung allein durch den Glauben« (Paulus, Lu-
ther) gemeint ist.420 Das Staunen vor dem Faktum solcher Glaubensbehauptung för-
dert ein mögliches Verständnis nicht. Die völlige Unbetroffenheit im Nichtverstehen
läßt nur übrig die Betroffenheit von der Tatsache, daß Menschen so gesprochen haben
und sprechen, und die Beobachtung der Folgen in ihrem Leben. Nicht einmal als Chif-
fer vermag ich mir diese »Rechtfertigung« zugänglich zu machen. Wie kann Glaube
an etwas, das in einem Bekenntnis, in Aussagen niedergelegt wird, ein Verdienst sein?
Wo Offenbarungsrealität nicht einmal mehr als mögliche Chiffer spricht, da ist eine
unheimliche Grenze fühlbar, die beunruhigt.
Ganz anders wieder die fragwürdige Versöhnung, die auf christlichem Boden
Grund und Abschluß der Hegelschen Philosophie ist. Es ist eine begriffene und im Be-
greifen vollzogene Versöhnung, in der alle Negativität zwar aufgenommen ist, aber als
überwunden gilt. Hegel weiß zu viel. Es wird unglaubwürdig; diese im Wissen durch-
schaute Versöhnung ist keine. Ihre Chiffer gewährt eine trügerische Beruhigung.
Wieder anders ein Grundvertrauen, das sich nicht begründen kann, nicht weiß,
zwar an allen unüberwindbaren Schrecken, an Geisteskrankheiten (Natur) und untilg-
barer Bosheit (Freiheit), an der Möglichkeit des Untergangs von allem, was Welt ist,
und heute an der Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit und allen Lebens
auf der Erde zu scheitern scheint, und sich doch wiederher stellen kann. Vertrauen wor-
auf und wozu? Die Sprache reicht nicht dahin. Das Wort selbst ist schon zu viel. Der
verborgene Gott und dies grundlose Vertrauen gehören zusammen - für kein Wissen
erreichbar, in keinem Glaubensinhalt zu bekennen.
82 | 4. Theologia gloriae und theologia crucis
Luther (zumal in der vorzüglichen Darstellung durch Theodosius Harnack)203 hat mit
dem ihm eigenen Zorn sich gegen die theologia gloriae des Thomas und der Sorbonne
gewendet und die theologia crucis in den Mittelpunkt gestellt: allein durch das Kreuz
Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
81 | Die Chiffer wird unangemessen auch dann, wenn in ihr die Befreiung von Schuld
anders erwartet wird als von Sühne, guten Handlungen und verläßlicher Haltung in die-
ser Welt. Verzeihung gibt es zwischen Menschen. Es ist dieser, wenn er echt ist, wunder-
barste Akt menschlicher Kommunikation: das Unrecht wird von beiden Seiten (obgleich
es in Art und Maß noch so verschieden sein mag) anerkannt. Aus der Liebe in rückhalt-
loser Wahrhaftigkeit geboren, gründet die Verzeihung neue liebende Kommunikation.
Die Schuld bleibt in ihren Folgen (das wird in der Chiffer der ewigen Höllenstrafen er-
schreckend aber zweideutig, wahr und falsch, gedacht). Sie ist darum doch nicht abso-
lut, sondern wird aufgenommen in das Ganze, das durch den guten Willen in der Kom-
munikation entsteht. Aber sich von Gott anders verzeihen zu lassen als dadurch, daß
Menschen sich verzeihen, ist der Anfang der Flucht vor den Menschen und sich selbst.
Versöhnung durch den Glauben an den objektiven Heilsprozeß, in dem Sinne, daß
ich glaube, durch Christi Opfertod und Auferstehung erlöst zu sein, ist philosophisch
unbegreiflich, wenn sie als »Rechtfertigung allein durch den Glauben« (Paulus, Lu-
ther) gemeint ist.420 Das Staunen vor dem Faktum solcher Glaubensbehauptung för-
dert ein mögliches Verständnis nicht. Die völlige Unbetroffenheit im Nichtverstehen
läßt nur übrig die Betroffenheit von der Tatsache, daß Menschen so gesprochen haben
und sprechen, und die Beobachtung der Folgen in ihrem Leben. Nicht einmal als Chif-
fer vermag ich mir diese »Rechtfertigung« zugänglich zu machen. Wie kann Glaube
an etwas, das in einem Bekenntnis, in Aussagen niedergelegt wird, ein Verdienst sein?
Wo Offenbarungsrealität nicht einmal mehr als mögliche Chiffer spricht, da ist eine
unheimliche Grenze fühlbar, die beunruhigt.
Ganz anders wieder die fragwürdige Versöhnung, die auf christlichem Boden
Grund und Abschluß der Hegelschen Philosophie ist. Es ist eine begriffene und im Be-
greifen vollzogene Versöhnung, in der alle Negativität zwar aufgenommen ist, aber als
überwunden gilt. Hegel weiß zu viel. Es wird unglaubwürdig; diese im Wissen durch-
schaute Versöhnung ist keine. Ihre Chiffer gewährt eine trügerische Beruhigung.
Wieder anders ein Grundvertrauen, das sich nicht begründen kann, nicht weiß,
zwar an allen unüberwindbaren Schrecken, an Geisteskrankheiten (Natur) und untilg-
barer Bosheit (Freiheit), an der Möglichkeit des Untergangs von allem, was Welt ist,
und heute an der Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit und allen Lebens
auf der Erde zu scheitern scheint, und sich doch wiederher stellen kann. Vertrauen wor-
auf und wozu? Die Sprache reicht nicht dahin. Das Wort selbst ist schon zu viel. Der
verborgene Gott und dies grundlose Vertrauen gehören zusammen - für kein Wissen
erreichbar, in keinem Glaubensinhalt zu bekennen.
82 | 4. Theologia gloriae und theologia crucis
Luther (zumal in der vorzüglichen Darstellung durch Theodosius Harnack)203 hat mit
dem ihm eigenen Zorn sich gegen die theologia gloriae des Thomas und der Sorbonne
gewendet und die theologia crucis in den Mittelpunkt gestellt: allein durch das Kreuz