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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0184
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

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führt der Weg zu Gott. Von Gott können wir direkt nichts wissen. Die Vertiefung in
seine Herrlichkeit ist Torheit und Ablenkung; das ist leicht und phantastisch. Für das
Heil der Seele aber kommt es darauf an, die Nachfolge im Kreuz und die Erlösung durch
Kreuz und Auferstehung zu finden; das ist schwer und real.
Karl Barth ist Luthers Gedanken gefolgt: »Die Versuchung aller christlichen Ver-
kündigung ist..., zur mehr oder weniger gewaltigen Mitteilung eines unverborgenen
Gottes überzugehen. Wer wollte nicht lieber theologus gloriae als theologus crucis
sein? Schon aus Menschenfreundlichkeit, um von der Bequemlichkeit nicht zu reden.
99 Prozent von dem, was heute von den Kanzeln auch der Reformationskirchen als
>Evangelium< sich vernehmen läßt, ist unter irgendeinem Vorwand und in irgendeiner
Wendung theologia gloriae.«204 Darin will der menschliche Geist mit der ihm eigenen
Gewalt »direkt mitteilen statt bezeugen«, er »eilt am Kreuz vorüber« und wird »zum
Verräter des Wortes Gottes«?205
Das Sprechen in der Chiffer des Kreuzes verstehe ich untheologisch so: Jesu Leiden
bis in den Tod (das letzte Wort am Kreuz: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen!)206 war die Folge seiner geistig revolutionären, alles Vorhergehende überbie-
tenden Wahrheit und bezeugte sie. Als Jude, in der Nachfolge seiner großen propheti-
schen Vorgänger, bestand er darauf, das Unheil des Menschen anzuerkennen, nicht
darüber hinwegzugehen, es nicht wegzureden durch irgendwelche mildernde Deutun-
gen. Mit unvergleichlicher Rücksichtslosigkeit enthüllte er und ließ die Welt sich ent-
hüllen. Aber er tat es kraft seiner Liebe aus einem überwältigenden Gottesglauben, sel-
ber schon im Reiche Gottes. Er wandte sich gegen die Zufriedenheit der Wohlgeratenen
und Erfolgreichen, der Moralischen und der Glücklichen. Er zeigte in der Bergpredigt,
deren Verwirklichung in dieser Welt unmöglich ist, wie in dieser Welt Menschen aus
dem Reiche Gottes handeln würden. Jesus wurde vernichtet wie Sokrates, weil solche
Wahrheit, die keine Rücksicht nimmt, unerträglich ist: den Herrschenden, weil er ihr
furchtbares Unrecht entlarvt, - den Massen, weil er nicht politisch als weltlicher Kö-
nig durch seine Macht bessere Zustände und das irdische Glück zu schaffen bereit ist,
weswegen sie dem Verbrecher Barrabas, nicht Jesus für den römischen Straferlaß den
Vorzug geben."207 Die Wirklichkeit des Menschen Jesus ist eine unvergleichliche, ein-
zige Chiffer der Möglichkeit des Menschen vor seinem Gotte.
| Was die Glaubensschöpfung der Apostel und die Kirchenstiftung daraus gemacht 83
haben, ist etwas anderes. Das neue Unheil der Kirche ist, an diesem Jesus, dieser Wirklich-
keit des Menschen vorbeireden und vorbeileben, diese Chiffer des grenzenlosen Leidens
an der Wahrheit und durch die Wahrheit verleugnen zu wollen. Was dem Menschen mög-
lich ist, der, Jesu Gottesglauben folgend, in dieser völligen Unbefangenheit und Rück-
haltlosigkeit zu leben vermag, - dieses Äußerste ließ die Kirche wieder in den Hintergrund

i Zwischen den Zeiten, Jg. 7 (1929) S. 439-440.
ü Vgl. über Jesus meine Darstellung in meinen »Großen Philosophen«, Band I, S. 186-214.
 
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