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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0185
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

treten, erhöhte es zu einer einmaligen Opfertat Gottes, um durch diese den Menschen
für die Ewigkeit zu retten, ihn aber von solchem Opfer zu befreien. Wenn er dem kirch-
lichen Bekenntnis glaubt und gehorsam gegen die Kirche ist, darf er beruhigt sein.
Das ist das Ergreifende, wenigstens als ein Moment, in der Empörung Luthers ge-
gen die theologia gloriae. Aber die wirklichen, vielfach möglichen Wege in der Nach-
folge Jesu, von Menschen beschritten, die Ernst damit machten, unter anderen die un-
ter sich ganz verschiedenen Wege Franz von Assisis oder Kierkegaards, sind für die
Kirche unannehmbar. Doch sie werden von ihr aufgenommen und genutzt, soweit sie
sich einordnen lassen in das auf andere Weise großartige Denk- und Lebenssystem der
Kirche, indem ihnen die Spitze abgebrochen, das Wesentliche genommen wird. Die
Menge der im Gehorsam gegen die Kirche vollbrachten Opfer, die bewunderungswür-
digen Verzichtleistungen, die immer wieder auftretenden mutigen Kirchenmänner
können nicht darüber täuschen (abgesehen von den schrecklichen Realitäten der Kir-
che durch alle Jahrhunderte), daß hier ein anderer Gehorsam wirkt, ein durch den Halt
an der Kirche als der Mittlerin der Gottheit eingeschränktes Wagnis, bei dem man
nicht weiß, was stärker ist, die Kraft des Kirchenglaubens oder des Gottesglaubens.
Vielleicht hat Karl Barth recht mit seinen »99 Prozent«. Ich weiß es nicht; ich hoffe,
daß er unrecht hat (in was für einer Gesellschaft befänden wir uns dann nach ihm mit
solchen Pfarrern!). Aber auf andere Weise könnte man auch an seinem einen Prozent
zweifeln. Die theologia crucis schien wenigstens manchmal verkündet zu werden in
einem Stil der Heilsverherrlichung, in einem Ton der Gnadenzufriedenheit, daß es wie
eine andere theologia gloriae anmuten konnte.
Von der theologia crucis und zu ihrer Rechtfertigung sage ich nichts. Durch sie ist
der Blick auf die Herrlichkeit der Welt und des Geistes, die vor der Gottheit liegen und
nicht die Gottheit sind, dieser zur Gottheit hin beschwingende Blick, nicht zu zerstö-
ren. Aber die verborgene Gottheit steht kraft ihrer Wirklichkeit über allen Gegensät-
zen, auch dem von theologia gloriae und theologia crucis. Etwas anderes ist Vertrauen
und Unterwerfung gegenüber dem ganz Unbekannten: »der Herr hats gegeben und
der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gepriesen«208 - und Dank. Das ist die
Grenze zum philosophischen Glauben.
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Nationale Instinkte, eigenständige Überlieferungen und Lebensformen, der Kampf um
Macht in der Kirche ebensosehr wie der um die Macht der Kirche in der Welt, dies al-
les macht die Glaubensinhalte politisch. Aber trotz der Stärke dieser Kausalfaktoren
für den Gang des Geschehens, können wir in ihnen nicht das Wesentliche sehen.
Denn daß die Kirche überhaupt da ist, ist nur aus der Wirklichkeit des Glaubens zu be-
greifen. Und daß so heftige Kämpfe um Dogmen, Riten, Bekenntnisse stattfinden, ist
wesentlich aus der Verschiedenheit und Gegensätzlichkeiten von Mächten zu begrei-
fen, die in Chiffern sich verstehen, einigen und abwehren.
 
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