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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0216
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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fung stammt, vernommen?[«]36 [»]Die Götter reichen nicht in jene Ferne - ... Von wo,
von wannen diese Schöpfung ist gekommen, ob sie geschaffen, ob sie ungeschaffen,
das weiß nur er, der Allbeschauer droben im höchsten Himmel - oder weiß auch er es
nicht?«37
Die reinen, unüberbietbaren Grundgedanken sind vielleicht in Menschen jeder-
zeit zu finden. Wie sekundär ist die Bedeutung von Zeitaltern und Geschichte! Wir wis-
sen im wesentlichen nicht mehr als jener indische Weise vor dreitausend Jahren in
dem, wovon er betroffen war und wir betroffen sind.
(c) Was wir selbst sind, ist so geheimnisvoll wie die Welt. Wenn unser Erkennen der
Weltrealitäten sich in den Jahrtausenden und in den letzten Jahrhunderten unermeß-
lich erweitert hat, wissen wir, was wir selbst eigentlich sind, heute so wenig wie da-
mals. Die Grundfrage, die schon in früher Kindheit, den Einzelnen verwundernd und
ihn verwandelnd, auftreten kann, ist zu allen Zeiten in vielfachen Worten als ergrei-
fende Frage ausgesprochen. So im Mahabharata (Jacobi S. 92): »Unwissend ist der
Mensch, nicht Herr über Lust und Leid seiner selbst, von Gott geschickt ,..«38 So bei Au-
gustin: »Ich bin in die Welt geworfen.«39 »Ich bin mir selbst zur Frage geworden.«40
Wir sind mehr als all unser Erkennen. Mit dem von uns Erkannten stehen wir vor
einem Unerkannten, uns unendlich Übergreifenden. Geheimnis ist die Welt und ein
jeder sich selbst.
(d) Die historischen Beispiele ließen sich vermehren. Worum aber es sich handelt,
ist dem Menschen als Menschen eigen. Die besonderen Gestalten sind in der Weise ih-
res Betroffenseins, ihres Fragens und Antwortens ungemein verschieden. Was aber ist
das Gleichbleibende in aller historischen Mannigfaltigkeit?
Erstens: Mit solchen fragenden Anschauungen ist der Mensch erst eigentlich er-
wacht. Vorher lebte er in der Welt wie in einem Schleier, der nur verbirgt, was eigent-
lich ist. Das Unenthüllbare ahnt er noch nicht, während er sich in den Verhüllungen
als unbefragten Selbstverständlichkeiten bewegt.
Zweitens: Mit diesem Fragen macht der Mensch einen Sprung. | Nun erst beginnt 31
das Leben des eigentlichen Menschen. Er hat das Bewußtsein seiner Existenz gewon-
nen. Vor dem Sprung ist er nur der Möglichkeit nach Mensch, jetzt erst wirklich. Hat
diese Vergewisserung begonnen, so ist nichts mehr selbstverständlich. Das vorher frag-
lose Dasein ist in die nun sogleich grenzenlose Fraglichkeit gelangt, auf die jeweils eine
Tat, ein Schaffen, eine Liebe, eine Gemeinschaft antwortet in einem nicht aufhören-
den Prozeß.
Nun erst tritt der Mensch in das bewußte Wagnis seiner Geschichte. Es soll sich
ihm zeigen, was ist. Es soll offenbar werden. Es kann nicht nichts sein. Ich selbst bin
nicht umsonst, nicht für nichts in dieses Dasein gelangt. Aber es bedeutet etwas, das
über alles bestimmte Bedeuten hinausliegt.
Drittens: Mit der Frage ist ein mächtiger Antrieb verbunden. Mit dem Staunen tritt
zugleich der Wille auf: aus dem grenzenlosen Unheil zum unendlichen Heil.
 
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