Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0219
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
u8

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

alle Erkenntnis nur auf die gegenständlich werdenden Erscheinungen in der Welt.
Auch alles zugrunde liegend Gedachte gehört als Gedachtes zur Erscheinung.
34 | Die Frage geht weiter: Was bedeutet dies, daß wir uns finden in einer Erschei-
nungswelt? Sind wir in diese so reale, reiche, herrliche und schreckliche Welt, über die
wir nicht hinausblicken, gleichsam von anderswoher wie in ein Gefängnis geworfen,
das erst die philosophische Einsicht als Gefangenschaft in den Anschauungsformen
und Denkformen begreift? Leben wir wie in einem Traum? Ist dessen philosophisches
Bewußtwerden wie der erste Ansatz eines Erwachens zu dem hin, woher wir gekom-
men sind? Oder ist umgekehrt dieses Leben in der Erscheinungswelt das Erwachen aus
dem Dunkel des unvordenklichen Unbewußten, die einzige Helligkeit, die es gibt?
Die Antwort: Für uns Menschen gemeinsam gibt es keine andere Helligkeit als die
in unserer Erscheinungswelt.

Offenbarung
(i) Für die Vergewisserung der Situation, in der wir uns finden, berufen wir uns auf
keine Offenbarung. Offenbarung kommt aus anderer Quelle. Ob es sie gibt und was sie
ist, das ist durch kein Wissen und keine menschliche Vergewisserung zu beantworten.
Nicht die Offenbarung, wohl aber der Offenbarungsglaube ist als empirische Er-
scheinung zu erforschen. Dabei aber ist nicht von der Wirklichkeit und Wahrheit der
Offenbarung, sondern nur von der Realität des Offenbarungsglaubens die Rede. Aber
auch durch den Glauben selber kann die Offenbarung nicht als allgemeingültig für
alle, sondern nur als unbedingt gültig für den Glaubenden und die Gemeinschaft der
Gläubigen entschieden werden. Der Offenbarungsglaube hat sich historisch in allen
seinen Gestalten als gültig immer nur für begrenzte Kreise innerhalb der Menschheit
erwiesen. Sein Anspruch auf Allgemeingültigkeit seiner einen Wahrheit war vergeblich.
Wir fragen in diesem Buche: wie spricht in den Formen des Weltseins, in der Spra-
che dieser Welt das, was vor der Welt und über der Welt ist? Spricht es überhaupt?
Spricht es ohne Offenbarung? Oder spricht es nur durch Offenbarung?
Wir erfahren unsere Freiheit und uns selbst, die aus der Welt nicht zu begreifen
sind. Wir erfahren in der Welt die Grenzsituationen von Tod, Kampf, Schuld, Zufall,
die uns erwecken.41 Das alles geschieht ohne Offenbarung.
35 | Hören wir nun von Menschen, daß sie durch etwas, das in die Welt einbricht, näm-
lich durch die von ihnen geglaubte Offenbarung, Antwort erfahren auf die uns als Men-
schen wesentlichen Fragen, so sind wir betroffen. So war es jederzeit und ist es auch heute.
So erfuhren und sprachen die jüdischen Propheten - Moses, die Unheils- und Heils-
propheten, Jesus -, so auf andere Weise Buddha. Die Situation des Menschen wurde
aufgebrochen, nicht zum wißbaren, erforschbaren Grunde hin, sondern als Erfahrung
vor der Wirklichkeit, die sich dem Menschen zeigt, ohne daß er sie zu begreifen ver-
mag, aber so, daß sie durch ihn Sprache gewinnt.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften