Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0221
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
120

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

tin, Anselm, Thomas, Cusanus - gedacht hat, ist an Rang, das heißt an Gehalt, Gründ-
lichkeit, Scharfsinn, Methode jedem anderen Denken gewachsen, als ein ganz anderes
zwar, aber als Denken.
Die Folge des in den Wissenschaften durch sie selbst erzeugten Grenzbewußtseins
ist nicht, daß nunmehr der Raum frei sei für beliebige Möglichkeiten, für Wunder-
glauben und schwärmende Phantastik. Wenn Behauptungen sich auf in der Welt er-
fahrbare Dinge beziehen (wie etwa leibliche Auferstehung), dann werden diese viel-
mehr in die wissenschaftlichen Methoden der Forschung einbezogen und unterliegen
deren Kritik. Das Denken, dessen Inhalte ihrer Natur nach diesem Raum nicht zuge-
hören, hat einen anderen Charakter, andere Methoden, anderen Sinn, ist keineswegs
beliebig. Es hat einen tieferen Grund als alle Dinge der empirischen Welt in Raum
und Zeit.
Dieses Denken heißt, wenn es aus einer geschichtlich bestimmten Offenbarung er-
folgt und durch sie begrenzt wird, Theologie, wenn es aus dem Ursprung des Mensch-
seins geschieht, Philosophie.
Philosophierend eigne ich mir biblische Wahrheit an in meiner Auslegung. Diese
37 bindet sich nicht an Instanzen, die die Offenbarung ver| treten und als Autorität die al-
lein richtige Auslegung für sich in Anspruch nehmen. Die Offenbarung selber wird der
Philosophie zur Chiffer. Die Philosophie widersteht der theologischen Dogmatik.
(3) Ich höre zwei entgegengesetzte Vorwürfe:
Der Offenbarungsgläubige sagt: Diese Philosophie kennt kein »festes Behaupten«,43
darum verliert sie allen Inhalt. Wenn die Offenbarung nicht verläßlich ist, dann bleibt
nichts. Wenn alles in die Schwebe gelangt, dann wird uns alles genommen. Wir sin-
ken ins Bodenlose. Daher halten wir fest. Wir lassen nicht von Offenbarung und Ver-
heißung, lassen uns nicht losreißen von Gott. Wir glauben und haben dadurch allein
Kraft, Ethos, unser Heil, unsere Befreiung.
Antwort: Die Alternative ist nicht anzuerkennen. Die Kraft, das Sichgeschenktwer-
den, das Ethos, die Befreiung und die Freiheit, der Ernst des Unbedingten sind mög-
lich, auch wenn das genommen wird, was der Offenbarungsgläubige so entschieden
bekennt und festhält.
Aber es könnte die Aufgabe in unserer menschlichen Grundsituation sein (in der
Chiffer zu sprechen: in die uns Gott, sich selber verbergend, gestellt hat), daß wir nicht
durch irgendeine Selbsttäuschung, nicht durch irgendeine Verschleierung ausweichen
sollen. Die Offenbarungsgläubigen werden in konkreten Handlungen, Verhaltungs-
weisen, von ihnen ausgesprochenen Sätzen, unter die Frage der Philosophie gestellt:
Kann das, was ihr behauptet und festhaltet, vielleicht nur ergriffen werden von dem
Menschen, der sich an einer entscheidenden Stelle täuscht? Verlangt ihr vielleicht,
was nicht möglich ist? Wendet sich die Wahrheit, die Gott von uns fordert, vielleicht
gegen Erscheinungen des Offenbarungsglaubens, die von Menschen in seinem Namen
behauptet werden? Endgültig kann die Frage nie beantwortet werden.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften