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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0233
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132

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

ter, in der christlichen Religion ist es der eine persönliche Gott, zugleich das Ein und
Alles, das Letzte, Unüberschreitbare.
(c) Die ursprünglichen Offenbarer in Indien und China sehen, was ist, kraft ihrer
überlegenen Weisheit und kraft der übermenschlichen Gewalt ihres Schauens. Pro-
pheten und Apostel dagegen hören Gottes Stimme, sind beauftragt, fühlen sich als
Werkzeuge seines Willens. Jene asiatischen Gestalten sind zu einem großen Teil my-
thisch, diese abendländischen sind Menschen von Fleisch und Blut.
(d) Die christliche Offenbarung macht eine weitere Auszeichnung geltend: Durch
kein Denken, kein Erleben, kein Wollen kann ich erreichen, daß ich die Offenbarung
glaube. Sie wird nur dem zuteil, dem Gott die Gnade gibt, sie glauben zu können. Nicht
der Mensch kann Gott suchen und ihn von sich aus gleichsam berühren, sondern al-
lein Gott ergreift den Menschen, den er sich auserwählt.
Damit ist ein spezifisch christlicher Widerspruch verbunden. Gott bleibt verbor-
gen, obgleich er sich offenbart. Der einzelne Mensch ist angewiesen auf Gottes Gnade,
die Offenbarung glauben zu können, und doch ist von ihm gefordert, zu glauben. Da-
her ist er schuldig, wenn er nicht glaubt, weil er sich dem Wirken des offenbaren Wil-
lens Gottes verschließt. Die Offenbarung wird für jeden Menschen, an den die Verkün-
digung gelangt, zum Gericht. Die Gnade Gottes ist zugleich Forderung Gottes.
Ob man diese oder andere Merkmale nennt, die den Offenbarungsglauben bibli-
scher Herkunft in seiner Einzigkeit charakterisieren sollen, jedesmal wird doch etwas
in allgemeinen Kategorien gesagt. Die berechtigte Frage ist, ob das auf diese Weise all-
gemein Gedachte nicht auch sonst historisch vorkommt. Was hier in der Mitte steht,
kommt anderswo vorübergehend vor. Will man sich von der Einzigkeit durch An-
schauung und Denken überzeugen, so wird man nie weiter kommen, als die histori-
sche Einmaligkeit wie die Einmaligkeit aller anderen historischen Erscheinungen auf-
zufassen.
52 4. Nun lehrt aber die Geschichte, daß die Aussagen der Gläubigen, | die sich alle
auf die Bibel berufen, so wenig übereinstimmen, daß die Spaltungen unter Verketze-
rung und Verdammung der Gegner durch alle Zeiten ein Grundzug der christlichen
Realität sind. Die Frage ist, was »das Christentum« sei.
Wir unterscheiden: erstens den Offenbarungsglauben, der den Menschen eignet,
die selbst eine Offenbarung empfangen zu haben meinen (eine Erscheinung überall
auf der Erde, die auch heute noch vorkommt), zweitens den durch kirchliche Autori-
tät bestätigten und garantierten Offenbarungsglauben (alle Offenbarung liegt dann
in der Vergangenheit), drittens den Glauben, der, gegründet auf biblische Überliefe-
rung, die Offenbarung nicht als Realität spezifischer Handlungen des leibhaftigen Got-
tes glaubt, sondern nur in Chiffern aneignet.
Die erste Form des Glaubens ist ein universales, psychologisches und historisches,
nicht spezifisch christliches Phänomen. Gemeinsam mit institutionellen Religionen
tritt sie unscharf heraus als Moment alles kultischen und priesterlichen Wesens. Die
 
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