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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0238
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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Von ihr her wird der Weg geführt. Eine Scheidung von Philosophie und Theologie
würde der Philosophie den Gehalt, der Theologie die Vernunft nehmen. Es ist die eine
große Einheit in der Allgegenwart Gottes, die ewige Wahrheit in allem hochgemuten
Denken.
Das wurde anders seit dem 12. Jahrhundert. Abälard spricht gelegentlich von der
Theologie als der sacra eruditio, die sich mit der Schrift befaßt, im Unterschied von
den philosophischen Gebieten.57 Hugo von St. Viktor unterscheidet die theologia
mundana, die höchste der philosophischen Disziplinen, von der theologia divina, die
Gott aus der Inkarnation und den Sakramenten erkennt.58 Aber nirgends ist hier ein
Gegensatz im Erkenntnisbegriff selbst.
Bei Bonaventura wird der methodische Gegensatz vielleicht schärfer bewußt. Die
Theologie als sacra doctrina geht von Gott aus. Die Philosophie führt zu Gott hin. Je-
doch ist der Wortgebrauch von Theologie auch anders, so wenn ihm Theologie (Re-
den von Gott) mit der Heiligen Schrift zusammenfällt, oder wenn alle Wissenschaften
auf die Theologie zurückgeführt werden und die Philosophie nach trinitarischen Prin-
zipien gegliedert wird.59
| Bis dahin blieb doch immer noch die fraglose augustinisch-anselmische Einheit
von Denken und Glauben. Ein Gegensatz im Sinne von Schwierigkeiten war zwar
längst in ketzerischen Denkern (Berengar von Tours u.a.) entstanden, hatte aber nicht
zu grundsätzlichen methodologischen Überlegungen geführt.60 Die Widersprüche
und ihre Überwindung zugleich wurden (auf dem Weg von Abälard her) in einer bis
heute das römisch-katholische Denken bestimmenden Form von Thomas von Aquino
begriffen. Die sacra doctrina führt zwar bei ihm nur selten den Titel Theologie.61 Aber
bei ihm wird der bis dahin im Hintergrund gebliebene und unbestimmte Gegensatz
von Glauben und Wissen zu dem einer Offenbarungswissenschaft vom Übervernünf-
tigen (Theologie) und einer Wissenschaft der menschlichen Vernunft (Philosophie).
Der Gegensatz wird zugleich in einer bequemen Weise überwunden. Wie das Reich der
Natur überwölbt ist vom Reich der Gnade, so das philosophische Erkennen vom theo-
logischen Erkennen. Ein endgültiger Widerspruch beider kann nie (denn beides
kommt von Gott) und darf daher nie auftreten. Die grundsätzliche Unterscheidung
konnte aber nur gewonnen werden durch Preisgabe des augustinischen Erkenntnisbe-
griffs. Das Denken ist im Gegensatz zu Augustin nicht mehr selber schon Erleuchtung
durch Gott, sondern natürliche Verstandesarbeit. Das Denken verliert den in ihm sel-
ber liegenden Glanz des Übersinnlichen und wird als eigener Schöpfungsbereich,
gleichsam als der richtige, gesunde, natürliche Menschenverstand anerkannt. Die Ret-
tung der Theologie vor den sich gegen sie kehrenden Widersprüchen des Denkens ge-
schieht um den Preis, dieses Denken selber zum bloßen Verstand zu erniedrigen. Zwar
wird dadurch die Rezeption der aristotelischen Welterkenntnis ermöglicht, aber in ei-
ner Stimmung der unphilosophischen Rationalität. Die entwertende Freigabe hat zur
Folge, daß Thomas in der Theologie faktisch philosophische Methoden anwendet, und

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