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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0292
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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Das ist die Paradoxie, daß wir, das Umgreifende denkend, doch im Denken, also in
der Spaltung bleibend, es als ein Gegenständliches denken, während wir das Umgrei-
fende meinen. Dieser Versuch ist der einzig mögliche, im Bewußtsein der Grenze, die
man denkend | nicht überschreiten kann, trotz dieser Grenze sich dessen zu vergewis- 125
sern, was ist, ohne Gegenstand zu werden. Dadurch, daß es offenbar wird, ist es viel-
mehr immer Gegenstand (Objekt) und Ich (Subjekt) zugleich.
Wird die Objektivierung eines Umgreifenden festgehalten, so ist der philosophi-
sche Sinn des Gedankens verschwunden. Zum Beispiel: Es geschieht die Objektivie-
rung der Existenzerhellung zu einem Wissen von Existenz. Dann werden die als Anruf
zum Freiseinkönnen entwickelten Begriffe verkehrt zu einem Mittel, Menschen
(menschliches Handeln und Denken) existentiell beurteilend zu subsumieren. Dann
will einer töricht wissen, ob er auch wirkliche Existenz sei. Dann wird das innere Han-
deln, als das und für das das existenzerhellende Philosophieren erfolgt, aufgehoben
zugunsten eines vermeintlichen (wenn auch phantastischen) Wissens von etwas, dann
wird die Philosophie zu einer Art Psychologie.
6. Die Paradoxien des wechselweisen Sichumgreifens. - In der Vergegenwärtigung des
Umgreifenden geraten wir also sogleich wieder in die Subjekt-Objekt-Spaltung. Aber
nicht nur dies. Sie wird uns auch noch zum Leitfaden der Gliederung dessen, was der
Gedanke des Umgreifenden trifft. Das Umgreifende, das wir sind, stellt sich gegenüber
dem Umgreifenden, das das Sein selber ist: das eine Umgreifende umgreift das andere.
Vom umgreifenden Sein her wird umgriffen das Sein, das wir sind. Vom Umgreifen-
den, das wir sind, wird das Sein umgriffen.
Dieses wechselweise Umgreifen - das eine Umgreifende, das im Ausgesagtwerden
sich sogleich wieder in die unausweichliche Doppelheit aller Denkbarkeiten fangen
lassen muß -, wird auf großartig einfache Weise von Dante ausgesprochen, als er das
Verhältnis Gottes zu den ihn umgebenden Engelchören vor Augen hat: Gott, der »von
dem, was er umschließt, selbst umschlossen scheinet«, oder dasselbe: »umschlossen
scheint’s von dem, was es umschließt«?126

| c. Vernunft 126
Der Weisen des Umgreifenden sind viele. Nur die Formel vom Umgreifenden alles Um-
greifenden trifft, aber erreicht nicht das Eine.
1. Die Vielfachheit und Unabschließbarkeit. - Jede Weise des Umgreifenden läßt in
sich wieder eine Vielfachheit erscheinen. Dasein und Geist sind in der unübersehba-
ren Individualisierung unendlich vieler. Das Bewußtsein überhaupt ist zwar dem Sinne
nach eines, aber in der Erscheinung gebunden an die Zahllosigkeit der an ihm teilneh-
menden denkenden Punkte. Existenz ist in dem Zueinander und Gegeneinander vie-

Paradies 30,12.
 
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